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Motörhead: Overnight Sensation

Lemmy Kilmister ist 50, und er beäugt die kulturnews mit Skepsis. „Kultur?“, krächzt er, „If I hear Kultur, I pull my gun.“ Trotz des imposanten Patronengürtels, der einen Teil seines überlappenden Bauchs stabilisiert, fühle ich den Drang, Lemmys Meinung zu korrigieren. „Äh, Lemmy“, sage ich, „du bist doch ein Teil davon … irgendwie.“

Lemmy wirft zwei Eiswürfel in seinen Jim Beam, den er in einem für die Brause beschämenden Verhältnis mit Cola verdünnt hat, und zieht an der Kippe. „Yeah“, schnauft er, „irgendwie.“ Nach 25 Jahren Metal-Shouting für Hawkwind und Motörhead ist er die Ikone des Genres, und seine Stimme klingt, als rutschte ein Schlitten über Sandpapier.

Würde man Lemmy schockfrosten und in einem Hardrock-Café aufstellen, empörten sich die Gäste gewiss über die geballte Ladung Metal-Klischees, mit der das Denkmal ausstaffiert ist: schwarzes Hemd mit Brustblick und hochgerollten Ärmeln, Kette mit eisernem Kreuz um den Hals, Tattoos an den Armen („Born to lose / Live to win“), pferdeaugengroße Totenkopfringe an den Pranken, eine zu enge Hose mit Schlag und dazu weiße Spitzstiefeletten, die geputzt werden müssten.

Wenn die Lemmy-Statue weibliche Café-Gäste erblickte, würde sie „silly cow“ röcheln. So nennt er jedenfalls (wenn sie grad nicht da ist) die Blonde von der Plattenfirma, die dafür sorgt, dass ihm Whisky, Eis und Cola nicht ausgehen – in dieser Reihenfolge. Damals, 1975, war es Lemmys Idee, Motörhead mit „ö“ zu schreiben. Das sah deutsch aus, und die Deutschen, Mann, sind für einen Engländer echt „mean“.

Ein Stichwort-Interview schont seine Kehle. Let’s go: seine arme Stimme … ? „Hat sich zur Ruhe gesetzt.“ Der Zustand seiner Ohren? „Ich hab‘ genau verstanden, dass du mich das gefragt hast.“ Ex-Duo-Partnerin Samantha Fox (… the breast and the beast, haha): „Geschichte.“ Britisches Rindfleisch? „Geschichte.“ Drogen? „Naturgeschichte.“ Techno? „Bald Geschichte.“

Lemmy trinkt schnell, raucht schnell und denkt schnell. Tanzen? „Ich tanze nicht. Except for the totentanz, hehehe.“ Lemmy wirft Eis nach und füllt mit Whisky auf. Es ist 16 Uhr 11 an einem Dienstag. Wir sind in einem Hotel, das bevölkert ist von ältlichen Frauen. Der Häkelclub Hodenhagen in der Großstadt.

Und in einem der Zimmer, davon wissen die Damen nichts, sitzt Lemmy Kilmister, den der Melody Maker für „radikal, roh, barbarisch, verrückt“ hielt. Was davon stimmt heute nicht mehr? „Nichts“, seufzt Lemmy, „alles stimmt.“ Danke, sage ich. „Das war leicht“, sagt Lemmy. Beim Handshake fühle ich den Totenkopfring. Durch die Lobby wuseln Häkeldamen. Wahrscheinlich wollen sie heute abend ins „Phantom der Oper“.

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