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Musikalisches Method Acting: Lady Gagas neues Album „Harlequin“

lady-gaga harlequin cover

Lady Gagas Begleitalbum zum Kinofilm „Joker: Folie à Deux“ nutzt Songs von Judy Garland und Charlie Chaplin, um in die Psyche der Harley Quinn einzutauchen. Wie klingt diese Charakterstudie?

Kaum eine Filmrolle wird so sehr mit Method Acting in Verbindung gebracht wie der Joker. Heath Ledger, Jared Leto und Joaquin Phoenix nehmen so einiges in Kauf, um sich möglichst überzeugend in die Rolle des mörderischen Clowns versetzen zu können. Lady Gaga, die als Harley Quinn in „Joker: Folie à deux“ zu sehen ist, wählt ihre eigene Art des Method Actings. Ihr Album „Harlequin“ soll einen Einblick in die Rolle geben, die sie auf der großen Leinwand verkörpert.

„Harlequin“ besteht aus dreizehn Songs, wovon elf der Lieder neu interpretierte Cover von bekannten Jazzklassikern sind. Diese Sammlung ergänzt sie mit zwei Songs, die aus ihrer eigenen Feder stammen. Produziert hat das Album unter anderem Gaga selbst, ebenso wie Benjamin Rice, der Gaga schon auf ihren poppigeren Alben „Artpop“ und „Chromatica“ unterstützt hat. Ein weiterer wichtiger Kollaborateur auf diesem Album ist Michael Polansky, Gagas Verlobter, mit dem sie einige der Songs umgeschrieben hat. Das passt zu der Geschichte des zweiten „Joker“-Films, in dem der Joker und Harley Quinn sich gemeinsam in die Welt der Musik und Extravaganz stürzen.

Trotz der Zusammenarbeit mit Benjamin Rice ist „Harlequin“ nur schwer mit Gagas Pop-Alben vergleichbar, da sie sich hier eher in andere Genres bewegt: Jazz insbesondere. Eine Facette des Popstars, die jedoch nicht unbekannt ist. So brachte sie gemeinsam mit der kürzlich verstorbenen Jazzlegende Tony Bennett zwei Kollaborationsalben heraus. „Cheek to Cheek“ erschien 2014 und „Love for Sale“ 2021. Mit Bennett führte Gaga eine tiefe Freundschaft, die auch dieses Album prägt. In einem Interview mit dem „Rolling Stone“-Magazin erzählte sie, dass Bennett auch bei diesem Album im Herzen ständig bei ihr war. Aber wie klingt diese Charakterstudie?

„Guten Morgen“ und „Sei fröhlich“!

„Harlequin“ beginnt mit den Klassikern „Good Morning“ und „Get Happy“, die zuvor von Judy Garland interpretiert wurden. Schnell wird deutlich, dass das Album extravagant und aufregend sein soll. Gleichzeitig ist die Songauswahl natürlich nicht willkürlich. Sie spielt mit Emotionen wie Fröhlichkeit, die für die Figuren des Jokers und der Harley Quinn eine komplexe Rolle spielen. Der Auftakt verspricht eine energiegeladene Reise durch die Psyche der Harley Quinn.

Der dritte Song „Oh, when the Saints“ ist eine abgewandelte Version des Gospels „When the Saints go marching in“. Er deutet schon eine thematisch neue Richtung an. Der unbeschwerte Klang der ersten beiden Songs wird hier ein wenig getrübt. Auch der vierte Song „World on a String“ legt den Fokus auf die Autonomie und Kontrolle der Harley Quinn. Sie singt: „Life is a beautiful thing/As long as I hold the string“. Was, wenn sie aber die Kontrolle verliert? Hierdurch wird das Bild der Figur schon etwas komplexer.

Als nächstes folgt eine Liebeserklärung an die Welt der Unterhaltung. Die beiden Lieder „If my Friends could see me now“ und „That’s Entertainment“ zeigen, dass Harley Quinn gerne auf der Bühne steht und alle Augen auf sich zieht. Ferner geht es im letzteren Song darum, dass viele Situationen einen Unterhaltungswert bieten: „Or the scene where the villain is mean/That’s entertainment!“. Das Lied fügt sich hervorragend in die Geschichte des Jokers ein, da auch dieser schlussendlich durch Gewalt versucht, eine Bühne zu finden. Die Musik gewinnt hier also stark an Bedeutung, wenn man sie im Kontext der „Joker“-Filme betrachtet.

Das Gleiche gilt für Charlie Chaplins „Smile“. Das Lied diente schon als Titelsong für den ersten Teil der zweiteiligen Filmreihe. Der Joker ist eine Figur, der sehr viel Schlechtes widerfährt. Wegen einer Krankheit, die ihn dazu zwingt, in den unpassendsten Situationen laut loszulachen, bleibt ihm nichts anderes übrig als das Mantra, was Chaplin in seinem Lied besingt: „Smile, though your heart is aching.“ Der Kontext der Figur macht Chaplins Ballade, die eigentlich eher aufmunternd sein soll, zu einem düster-traurigen Soundtrack des Jokers.

Sie ist der Joker

In der Mitte des Albums passiert eine Wendung. Als nächstes findet sich der Song „The Joker“ auf der Trackliste. Klanglich sticht dieser Song sehr hervor, da er von allen Songs am meisten wie Gagas düsteren Pophymnen klingt. Bekannt wurde das Lied primär durch Shirley Basseys Version. „The Joker“ ist sehr viel rockiger als die anderen Stücke, und auch die Lyrics nehmen kein Blatt vor den Mund. Der Song legt offen, worum es in dem Film und auf dem Album geht. Laut und befreit singt Gaga: „The joker is me.“

Die zweite Hälfte des Albums versteckt nicht mehr, wie es Harley Quinn wirklich geht. Der selbstgeschriebene Song „Folie á deux“ ist ein langsamer Liebeswalzer, der offen zu der Verrücktheit des unverhofften Paares steht: „They might say that we’re crazy/But I’m just in love with you“. Auch das Lied „Close to you“ beschreibt die verblendete Liebe zwischen Harley Quinn und dem Joker. In „Gonna build a Mountain“ behandelt sie Gedanken an den Tod und bringt somit eine Melancholie in das Album.

Ein weiteres Herzstück von „Harlequin“ ist der zweite selbstgeschriebene Song „Happy Mistake“. Er spiegelt die inneren Kämpfe der Figur wieder: „My head is filled with broken mirrors/So many, I can’t look away“. Gaga blickt hinter die Maske der Harley Quinn, wodurch einer der wenigen introspektiven Momente des Albums kreiert wird. Lange Zeit zum Nachdenken gibt es trotzdem nicht. Der Blick nach innen wird sofort mit dem Song „That’s Life“ wieder abgeschüttelt. Quinn lässt sich von ihren zerstörerischen Gedanken nicht unterkriegen, denn: „Each time I find myself flat on my face/I pick myself up and get back in the race“. Das ist ihre Art, zu sagen, dass die Show weitergehen muss.

In „Harlequin“ malt Lady Gaga ein Porträt ihrer Rolle. Mit jedem Song begreift man ihr Verständnis von Harley Quinn ein bisschen mehr. Die selbstgeschriebenen Lieder füllen die Lücken, die die Coverversionen offen lassen. Insgesamt bietet das Album also eine Charakterstudie, die „Joker:  Folie à deux“ ergänzt. Gaga zählt „Harlequin“ selbst nicht als ihr Album Nr. 7, sondern vielmehr als Nr. 6,5. Ihr nächstes Album steht allerdings schon für Februar 2025 in den Startlöchern und soll wieder in eine Pop-Richtung gehen. Mehr verrät sie jedoch noch nicht.

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