Trauerbewältigung nach tragischen Todesfällen: City And Colour live
|Obwohl Dallas Green alias City And Colour erst kürzlich zwei Todesfälle verkraften musste, dürften seine Deutschland-Konzerte selige Gänsehaut-Feste werden.

City And Colour: Deutschland-Tour 2023 angekündigt
Während andere Männer in ihren Vierzigern der Midlife-Crisis mit dem Kauf eines motorisierten Untersatzes oder unnötig kostspieligen Hobbys wie Tiefseetauchen und Fallschirmspringen begegnen, hat Dallas Green einfach ein Album geschrieben. Eines, mit dem sich der 42-Jährige seine liebevolle Haltung zum Leben zurückerobert – dabei hätte Green jeden Grund gehabt, der Liebe Lebewohl zu sagen. Schließlich war es keine tumbe Torschlusspanik, die den Kanadier in ein tiefes Loch hat stürzen lassen, sondern der Tod zweier geliebter Menschen. Und als der Singer/Songwriter gerade noch tief in der Trauer um seinen Produzenten Karl „Horse“ Bareham und dessen Cousin versunken war, hat die Pandemie ein weiteres Loch in das Leben des passionierten Bühnenkünstlers gerissen. Ein Glück, dass sich der Gitarrist der Hardocoreband Alexisonfire mit City And Colour schon vor fast 20 Jahren seinen eigenen therapeutischen Rückzugsort geschaffen hat – und dass die Zeit der geschlossenen Konzerthallen endlich vorbei ist.
Wie schon die sechs City-And-Colour-Alben zuvor ist auch „The Love still held me near“ von einer mitreißenden Melancholie und Greens friedlichem Tenor geprägt. Und doch ist sein siebtes Soloalbum dichter, einfacher, rauer. Anders als bei vorangegangenen Projekten hat Green auf eine große, professionelle Studioproduktion verzichtet und Zuhause aufgenommen – eine Intimität, die zu den Trauer bewältigenden Texten passt. Dabei erinnert Dallas Green erst mal weniger an den traurigen Tenor als an einen Harley-Davidson-Typen, der mit seinem Barbier im Herrensalon über Whisky fachsimpelt und abends mit einem Craftbeer am Webergrill steht. Es sind genau diese Kontraste, die City And Colour so spannend machen: „We had everything we wanted but we fucked it up“, singt Green auf „Fucked it up“ und mimt einen Jack Johnson, der das Fluchen für sich entdeckt hat. Und so blitzen zwischen all den grübelnden Folksongs immer wieder trotzige Rockgesten auf, die daran erinnern, wo Green eigentlich herkommt – vom Hardcore
„We had everything we wanted but we fucked it up“
Das Hau-drauf-Geballer von Alexisonfire steht dem sachten, introspektiven Singer/Songwriter-Folk von City And Colour zwar diametral gegenüber, doch selbst in der kanadischen Hardcoreband ist Green für das Gegengewicht zu Wade McNeils extrovertiertem Gebrüll zuständig – vor allem live. Wie mühelos Green all diese Facetten abzudecken weiß und selbst dem gemeinsamen Folkpop-Projekt You+Me mit Pink im Jahr 2014 eine aufrichtige Natürlichkeit verliehen hat, ist so bemerkenswert wie nicht selbstverständlich. „Did someone say that this would be easy?“, singt er auf „Without Warning“, ohne eine Antwort zu erwarten. Dennoch: Nein, niemand hat erwartet, dass es einfach wäre, ein Album über den Verlust zweier enger Mitmenschen zu schreiben. Dass Green schlussendlich trotzdem zu alter Leichtigkeit zurückfindet und mit „Begin again“ einen versöhnlichen Ausblick wagt, freut uns sehr. So dürften die anstehenden Deutschland-Konzerte nicht nur zur kollektiven Trauerbewältigung einladen, sondern auch selige Gänsehaut-Feste werden.
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