„One Battle after another“: Leonardo DiCaprio kommt im Bademantel zur Revolution

Paul Thomas Anderson legt mit „One Battle after another“ einen Oscar-verdächtigen Thriller vor, der erschreckend viel Gegenwart vorausgesehen hat – und Donald Trump so gar nicht gefallen dürfte.
Wenn die Fiktion die Wirklichkeit einholt, ist das selten ein gutes Zeichen – also für die Wirklichkeit. In seinem neuesten und, so viel darf verraten werden, jetzt schon völlig zu Recht gefeierten Kinofilm „One Battle after another“ ist Paul Thomas Anderson eine absurde Synchronität von politischer Gegenwart und Fiktion gelungen. Eingedenk, dass dieses 161 Minuten lange und kolportierte 115 Millionen US-Dollar schwere Prunkstück Anfang 2024, also noch vor Trump 2 gedreht wurde, kann mit Fug und Recht behauptet werden: Hier holt Hollywood die Gegenwart ein. Oder: Hier ist das Kunstwerk schlauer als der Künstler selbst. Schließlich stand am Anfang bloß der kindliche Traum eines Starregisseurs, einmal eine epische Verfolgungsjagd in der Wüste zu drehen. Doch dazu später mehr.
„One Battle after another“: Ein Blick in die nahe Zukunft der USA?
Zunächst wirft uns PTA – wie Anderson in ergebener Ehrfurcht gerne genannt wird – mitten in das revolutionäre Aufbegehren der French 75, einer Gruppe Widerstandskämpfer:innen um Bombenleger Bob (Leonardo DiCaprio) und seine skrupellose Freundin Perfidia (Teyana Taylor). Ihre Wut gilt einem Regime, das die USA in einen faschistischen Polizeistaat umgerüstet hat. Die Nationalgarde patrouilliert, während die ICE schikaniert. Der Willkür begegnet die French 75 mit gezielter Gewalt. Sie zerstören kritische Infrastruktur, rauben Banken aus und befreien in Lagern festgehaltene Migrant:innen. Bei letzterem stößt Perfidia auf den irren Colonel Steven J. Lockjaw (Sean Penn), was die erste völlig skurrile und gleichwohl folgenschwere Begegnung dieses für PTA-Verhältnisse ungewöhnlich plotgetriebenen Thrillers ist. Denn Revolution ist bei Anderson nicht nur echte Handarbeit, sondern im wahrsten Sinne: geil.

Leonardo DiCaprio: Der neue Lebowski
Nach dieser bereits actionreichen Exposition springen wir 16 Jahre in die Zukunft. Die USA sind immer noch radikal faschistisch, die French 75 hingegen dezimiert. Nachdem Perfidia ihre Tochter Willa zur Welt gebracht hat, musste auch sie untertauchen. Heute lebt Willa (Chase Infiniti) mit Bob in einem heruntergekommenen Haus am Waldrand einer migrantischen Enklave. Vom einstigen revolutionären Geist ist kaum noch etwas übrig. Voller Hingabe und mit fantastischem Witz verkörpert DiCaprio einen gescheiterten Revoluzzer, der sich mit Marihuana und Billigwein so weit ins Delirium und in die Paranoia geschossen hat, dass er sich selbst dann nicht mehr an die alten Sicherheitscodes seiner Widerstandsgruppe erinnern kann, als seine Tochter entführt und zu allem Überfluss auch noch vom Superschurken Lockjaw gejagt wird.

Die in DiCaprios Spiel angelegten Parallelen zu Jeffrey Lebowski alias The Dude aus „The big Lebowski“ dürften kein Zufall sein: Der Joint wird mit der Pinzette bis zum letzten Zug aufgeraucht, und der Bademantel ist das Cape eines – nun ja – etwas anderen Helden, der vorrangig durch die Geschichte stolpert, fällt und kriecht. Und genau wie „The big Lebowski“ hat auch „One Battle after another“ das Potenzial, ein absoluter Klassiker zu werden. Grund dafür ist neben DiCaprio der durchweg herausragende Cast. Etwa Sean Penn, der den Colonel Lockjaw zu einem Antagonisten der Extraklasse wachsen lässt, irgendwo zwischen den großen 007-Schurken, Two-Face und Darth Vader. Der Oscar als bester Nebendarsteller dürfte damit feststehen – wobei die Oscar-Academy auch in allen anderen Kategorien kaum um diesen Film herumkommen wird, für den sich PTA übrigens bereits zum zweiten Mal Inspiration bei seinem Lieblingsschriftsteller Thomas Pynchon geholt hat.
The Revolution will not be televised
Schließlich kommt es dann auch endlich zum großen Finale in der Wüste, mit dem PTA mal eben das im Kino längst verschwundene Genre der Autoverfolgungsjagd wiederbelebt und dies so spektakulär inszeniert, dass man sich wünscht, es ginge ewig so weiter. „One Battle after another“ ist ein wilder Ritt und nicht ungleich wilder Mix aus spannendem Rache-Thriller, rührender Vater-Tocher-Geschichte und Kifferkomödie, aber vor allem ein politischer Blockbuster über Freiheit, Faschismus und den neuen alten Rassismus. Ein Film, den das Multiplex-Kino nach all den zermürbenden Marvel- und DC-Jahren dringend gebraucht hat.
„Green Acres, Beverly Hillbillies, and Hooterville Junction will no longer be so damned relevant“, lautet der Erkennungscode der French 75-Mitglieder, der aus Gil Scott-Herons Song „The Revolution will not be televised“ zitiert. Jener Song, der am Ende des Films die Credits begleitet und trotz all der Action und des Humors keinen Zweifel darüber aufkommen lässt, worum es PTA hier eigentlich geht. Denn gemütlich im Kinosessel einen politischen Film zu genießen, ist noch keine politische Handlung. Es reicht eben nicht, dem Widerstand bloß aus sicherer Entfernung beizuwohnen. Politik ist Handarbeit. Und es wird kein Superheld kommen und uns retten – auch, wenn Hollywood das so gerne verspricht.