„Ich kann alles ändern!“
Regisseurin Pınar Karabulut (33) macht feministisches Theater, sagt dem weißen heteronormativen Blick den Kampf an und will das Theatersystem revolutionieren. Wirklich radikal wäre jedoch etwas anderes.
Pınar, deine Inszenierungen wirken oft sehr poppig, pink und schrill. Warum ist es wichtig für dich, viel Popkultur und modernen Lifestyle mit einfließen zu lassen?
Pınar Karabulut: Zum einen, weil es Teil meiner 90er- und MTV-Generation ist. Zum anderen ist es eine Form der medialen Revolutionierung des Theaters. Ich versuche, alte Theatersehgewohnheiten und -zugriffe durch die Farbigkeit zu befreien. Dass Pink als Mädchenfarbe gilt, ist erst in der Frühmoderne entstanden. Früher war es die Farbe der Könige und Geistlichen und wurde eher von Männern getragen. Ich finde es viel spannender, die Farben psychologisch zu sehen und eben nicht kulturell vorbelastet.
Du bist bekannt für deinen Blick auf die weibliche Perspektive und starke Frauenfiguren im Theater. Fühlst du dich auf das feministische Motiv reduziert, oder ist es ratsam, sich auf ein bestimmtes Thema zu konzentrieren?
Pınar: Weder – noch. Feminismus ist ein Lebensthema. Solange es keine Chancengleichheit gibt, wird der Feminismus Thema sein – und auch darüber hinaus werde ich den Feminismus preachen. Das ist ein komplexer Prozess, es sind Inhalte und Lebensweisen, die man ändern und hinterfragen muss.
Welche Themen reizen dich außerdem? Und was vermisst du in der gegenwärtigen Theaterkultur?
Pınar: Einen größeren Blick Richtung Osteuropa und Jugoslawien. In Europa wird zelebriert, seit 75 Jahren keinen Krieg mehr zu haben, dabei gibt es so viele, die aus einem Kriegsgebiet kommen. Auch in Richtung Afrika wird mit kolonialistischen Blick geschaut. Es gibt viel zu wenig PoC und transgender Stimmen, weil alles durch den weißen heteronormativen Blick gebrochen wird, sodass ich kein Risiko laufe zu provozieren. Manchmal hilft aber eine Provokation, um aufmerksam zu machen.
Wenn es radikale Formen braucht, um Sichtbarkeit zu erzielen: Was wäre dann mal so richtig krass auf der Bühne?
Pınar: Man muss nicht immer gleich … wobei, warum eigentlich nicht? (lacht) Man sollte immer radikal sein! Netflix zeigt in der Serie „Pose“ einen Cast, der größtenteils aus trans Frauen und Black PoCs besteht. Das ist an sich nicht radikal, aber theaterpolitisch sind wir an den großen Häusern leider noch nicht so weit. Radikal wäre es, die Rollen anders zu vergeben und dadurch andere Narrative zu zeigen.
Wo stößt du an Grenzen? Und welche Dinge kannst du nicht ändern?
Pınar: Ich kann alles ändern! Zumindest sind das meine jetzigen Grenzen. Mein Wunsch ist es, das theaterpolitische System zu verändern. Ich habe diese Kunstform gewählt, weil ich was zu sagen habe und weil ich was sagen muss. Und wenn nur eine Hospitantin aus der Produktion geht und das mit ins Studium trägt, ist das schon mal ein Anfang.
Kommt auch mal Kritik aus der konservativen Ecke? Von alten weißen Männern, die sich von feministischen Stücken bedroht fühlen? Oder vielleicht auch von Frauen selbst? Wie reagierst du darauf?
Pınar: Die alten weißen Männer fühlen sich ständig bedroht, schon allein durch meine Anwesenheit. Bei Kritik von Frauen gehe ich sehr gern in den Diskurs. Es gibt viele Klischees über den Feminismus. Meiner steht dafür, dass du alles sein kannst. Viele fühlen sich durch diesen Freiheitsdrang angegriffen oder bekommen Angst, weil sie jahrzehntelang unter patriarchalen Strukturen gelebt haben und das erst erkennen müssen.
In deinem aktuellen Stück „Mourning becomes Electra“ bearbeitest du einen modernen Klassiker. Was reizt dich an dem Stoff? Und was ist an deiner Interpretation neu oder anders?
Pınar: Eugene O’Neill arbeitet die Komplexität der Figur Elektra mit einem nicht archaischen, sensiblen Männerblick heraus. Mich interessiert der psychologische Blick auf die Figuren und warum diese Frauen so stark sein müssen, wenn die Männer abwesend sind. Ich zeige, wie die Frauen versuchen, aus dem Patriarchat auszubrechen, gepaart mit sehr sensiblen, weichen Männern, und das Ganze innerhalb des Ausnahmezustandes im Mikrokosmos Familie.
Interview: Janka Burtzlaff
Mourning becomes Electra feiert am 16. Oktober Premiere an der Volksbühne Berlin. Das Sicherheitskonzept für die Spielzeit finden Sie auf der Website des Theaters.