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„Schöne Scham“ von Bianca Nawrath

Buchcover: „Schöne Scham“ von Bianca Nawrath

In ihrem Roman „Schöne Scham“ setzt sich Bianca Nawrath mit der Frage auseinander, wie und wann man in toxische Beziehungen von Freund:innen eingreifen sollte.

Sommer, Sonne, Entspannung – das ist der Plan für das Wochenende an der Ostsee. Das Auto ist voll, und mit dabei ist das Vorzeigepärchen Christian und Amalia, die beinahe unangenehm romantisch und so wahnsinnig liebevoll zueinander sind. Außerdem ein weiteres Pärchen, Kata und Lenny, bei dem unterdrückte Streitereien immer wieder für Anspannungen sorgen. Und schließlich Katas Cousine Ola, die sich sowohl als einzige Single als auch aufgrund ihrer starken Persönlichkeit deutlich von der Gruppe abhebt.

Ola ist politisch aktiv, überzeugte Feministin und insbesondere geschlechterspezifischen Stereotypisierungen gegenüber sehr kritisch eingestellt. Sie lässt sich nichts gefallen und mit Christian gerät sie immer wieder in politische Diskussionen. Bereits beim ersten Abendessen stichelt Ola über seinen Beruf als Polizist.

„,Du machst dich lustig über die Polizei? ACAB und so?’–,All Cops Are Beautiful? Darüber würde ich mich nie lustig machen.‘ Christian schnaubt. Einen weiteren schnippischen Kommentar schlucke ich herunter, weil Kata mir einen leichten Tritt unter dem Tisch verpasst.“

Christians Macho-Gehabe, sein großes Ego und die traditionellen Geschlechtervorstellungen provozieren Ola – doch schon bald ahnt sie, dass hinter ihrem mulmigen Bauchgefühl weit mehr steckt.

„Schöne Scham“: Ein idyllisches Sommerwochenende unter Freund:innen wird immer mehr zum Albtraum

Spätestens als Amalia und Ola morgens ohne Bescheid zu sagen spazieren gehen und sie bei der Rückkehr ein vor Wut brodelnder Christian erwartet, der Amalia vorwirft, ihm eine große Angst eingejagt zu haben, beginnt Ola skeptisch zu werden. Hinzu kommt, dass Amalia sie bei eben diesem Spaziergang, high und ehrlich durchs gemeinsame Kiffen, „für eine Freundin in einer toxischen, gewaltvollen Beziehung“ gefragt hat, was sie ihr als enge Vertrauensperson raten soll.

„Sein Blick sucht mein Gesicht nach den Regungen ab, die er erwartet. Ich gebe sie ihm, werfe den Kopf in den Nacken, beiße auf die Unterlippe, ich stöhne. Als ich danach in Christians Armen liege, lächelt er. Und ich lächle auch. Macht man doch so.“

Was Kata, Lenny und Ola lange nicht bemerken, weiß die Leser:in durch Amalias Stimme schon längst: Hinter all der Romantik und dem Kitsch ist Christian gewalttätig, verbietet Amalia das Wort. Sie lebt in ständiger Angst. Doch Christian manipuliert Amalia durch vermeintliche Gesten der Zuneigung so sehr, dass Amalia die Schuld bei sich selbst sucht und stetig neue Entschuldigungen und Erklärungen für sein übergriffiges Verhalten findet.

Die Geschehnisse spitzen sich immer weiter zu, und es ist nur eine Frage der Zeit, bis Christian vollständig explodiert …

… und das Unausweichliche passiert, als Christians Vater im Krankenhaus liegt. Ein Vater, der seinen Sohn abweist und abgrundtief hasst: Als er das bei Christians Besuch im Krankenhaus offen zeigt, tickt Christian endgültig aus. Er ist wie ausgewechselt, hat Stimmungsschwankungen und zeigt das Verhalten eines unberechenbaren Psychopaths. Doch noch immer ignorieren Kata und Lenny die offensichtlich toxische Beziehung zwischen Christian und Amalia – ganz zum Entsetzen Olas.

„Wäre auch wirklich unangenehm, müsste man sich eingestehen, monatelang die Gesundheit einer Freundin riskiert zu haben und sie weiterhin zu riskieren. Denn nichts anderes passiert hier.“

Erst als Christian die Gewalttätigkeit nicht mehr nur im Verborgenen ausübt, erkennen Kata und Lenny das Offensichtliche und versuchen, im letzten Moment das Schlimmste abzuwenden. Doch Amalia ist zum Glück schon weg, angestoßen von Olas kritischer Perspektive hat sie eigenständig den Mut gefunden, aus ihrer Beziehung zu fliehen.

Lange hat sie Christians Willkür ausgehalten – doch wäre dies auch der Fall gewesen, wenn ihre vermeintlichen Freund:innen früher das Gespräch mit ihr gesucht hätten? Sollte in einer wahren Freundschaft nicht die gegenseitige Hilfe selbstverständlich sein, und tragen nicht „Freund:innen“ durch bewusstes Wegschauen auch einen Teil der Schuld?

Nawrath zeigt in „Schöne Scham“: Aktives Wegschauen ist eine klare Form von Mitschuld

Ola besitzt als einzige in der Gruppe die Stärke, für Amalia einzustehen, während Kata und Lenny bis zur Katastrophe die Augen vor jeglicher Verantwortung verschließen. Damit zeichnet Bianca Nawrath ein aussagekräftiges Porträt unserer Gesellschaft: auf der einen Seite einige wenige, die Verantwortung nicht scheuen, auf der anderen all jene, die sich das Leben leichter machen, indem sie einfach wegschauen.

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