Seoul sehen und sterben: Bestsellerautor David Foenkinos über seinen neuen Roman „Das glückliche Leben“

In seinem neuen Roman „Das glückliche Leben“ konfrontiert Bestsellerautor David Foenkinos einen Mittvierziger mit dem Tod. Er selbst musste sich dieser Auseinandersetzung schon deutlich früher stellen.
David Foenkinos im Interview zu seinem neuen Roman „Das glückliche Leben“
David, in deinem Roman geht es um ein Angebot in Südkorea, bei dem Menschen ihrer eigenen Beerdigung beiwohnen können und sogar selbst in den Sarg steigen. Wie bist du dem Ritual zuerst begegnet?
Foenkinos: Ich war in Korea, um ein meines Bücher zu bewerben, und jemand hat mir davon erzählt. Natürlich hat es mich sofort interessiert. Mit 16 Jahren habe ich viele Monate im Krankenhaus verbracht, mein Herz war stehengeblieben. Diese Nahtoderfahrung hat mein ganzes Leben verändert: Obwohl ich nicht aus einem Künstlerhaushalt komme, habe ich angefangen zu lesen, zu schreiben, mich in Schönheit zu verlieben. Die Idee, dem Tod sehr nahezukommen und danach sein Leben mit anderen Augen zu sehen, verstehe ich sehr gut.
Wie wird dieses Ritual dort angenommen?
Foenkinos: Es ist ein großer Erfolg. In Südkorea ist die Suizidrate sehr hoch, es gibt viele depressive Menschen. Ich liebe die Idee, dass du vor deinem Grab stehst und deinen eigenen Tod wirklich fühlst – es ist wie eine Schocktherapie. Doch obwohl es in dem Buch um ein konkretes, koreanisches Ritual geht, handelt es in Wirklichkeit davon, wie man sein Leben verändert. Und von einer Romanze zwischen einem Mann und einer Frau, die sich über 30 Jahre hinzieht. Ich würde sagen, es ist ziemlich französisch.
Éric und Amélie, die beiden Hauptfiguren deines Romans, sind deutlich älter, als du mit 16 warst. Wann hast du entschieden, dass es in dem Buch um Leute über 40 gehen soll?
Foenkinos: Man sieht es ja überall: Leute um die 40 oder 50, die sich entscheiden, ihr Leben zu verändern. Ich kenne etwa viele Frauen, die begonnen haben, Yoga zu unterrichten. Aber für mich war es auch sehr verknüpft mit der Corona-Situation. Zum Beispiel haben damals Millionen in den USA mit dem Hashtag #quitmyjob ihre Arbeit gekündigt. Wenn du mit tragischen, schmerzhaften, angsteinflößenden Ereignissen konfrontierst wirst, denkst du automatisch darüber nach, was dir wichtig ist. Es gibt eine direkte Verbindung zwischen Zerbrechlichkeit und Handeln.
Die Mid-Life-Crisis ist ja ein bekanntes Phänomen …
Foenkinos: Stimmt, aber heutzutage kann sie im Alter von 20 bis 70 auftreten.
Deine Nahtoderfahrung ist nun schon lange her. Hält ihre Wirkung weiterhin vor?
Foenkinos: Ja, ich spüre sie jeden Tag. Es gab einen David Foenkinos, der ich bis zu meinem 16. Lebensjahr war. Und es gibt einen zweiten, der ich seitdem bin. Ich habe lange gebraucht, um zu verstehen, dass es in all meinen Büchern um dieses Thema geht: um ein zweites Leben, um Neuerfindung. Selbst „Nathalie küsst“ handelt von einer Frau, die zur Witwe wird und ihr ganzes Leben umwirft. Aber bei „Das glückliche Leben“ macht dieses Thema wirklich das Herz des Buches aus. Ich glaube, dass das auch für die Menschheit an sich gilt: Erstmals ist die Frage nach dem Glück zur zentralen Frage geworden.
Meinst du damit, dass viele Menschen erstmals ein Level an Komfort und Macht erreicht haben, dass sie sich ganz auf diese Frage konzentrieren können?
Foenkinos: Genau. Es haben noch nie so viele Menschen wie heute den Kurs ihres Lebens verändert.
Manche Leute würden wahrscheinlich sagen, dass es den Menschen zu gut geht, wenn sie sich diese Frage stellen können. Auch das koreanische Ritual lässt sich so interpretieren, dass es dem Leben künstliches Drama hinzufügt.
Foenkinos: Das kann ich verstehen. Aber ich habe viele Kommentare zu dem Ritual gelesen, und fast alle Reaktionen waren positiv. Wenn Menschen es mitmachen, dann nicht zum Spaß. Es hat Leute teilweise davon angehalten, Suizid zu begehen.
Im Buch importiert Éric das Angebot nach Frankreich, wo es ebenfalls zu einem großen Erfolg wird. Weißt du von Versuchen, das im echten Leben zu erreichen?
Foenkinos: Jemand hat versucht, es in Frankreich zu realisieren, nachdem mein Buch erschienen ist. Aber mittlerweile hat das Unternehmen schon wieder zugemacht. Vielleicht sind die Leute in Frankreich so glücklich, dass sie das Angebot nicht brauchen. (lacht) Aber ich denke immer noch, dass es eine echt gute Idee ist. Alle wissen, dass man eine neue Perspektive aufs Leben gewinnt, wenn man zu einer Beerdigung geht: Man denkt darüber nach, wie kurz das Leben ist und dass man es genießen sollte.
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