Sophie Hunger: Halluzinationen
Gemeinsam mit Dan Carey setzt Sophie Hunger auf volles Risiko – und schafft das beste Album ihrer Karriere.
Mit wem ginge ein Neuanfang besser als mit Dan Carey, dem Chef des Londoner Spontaneität-als-Sinneszweck-Labels Speedy Wunderground? Gemeinsam haben sich Carey und Sophie Hunger in den Abbey Road Studios eingemietet und Hungers siebtes Album „Halluzinationen“ in einem langen Take eingespielt.
Komponiert hat sie die zehn Stücke in der heimischen Küche in Kreuzberg, mit einer spärlichen Instrumentierung aus einem Klavier, einer handvoll Synthesizer und einer Drum-Machine – und entsprechend geisterhaft ist auch das fertige Album geworden, auf dem Dan Carey ihren Skizzen nur hier und da mit Midi-Bässen, Bläsern und Gitarren etwas mehr Körper verleiht.
Und es ist bemerkenswert, wie viele unterschiedliche Stimmungen, wie viel Vielfalt die beiden dem kargen Sound abtrotzen, ohne, dass das Ergebnis ausgestellt wirkt: Der Titeltrack ist ein Bop-Pop-Hybrid mit fiebrig angeschrägten Jazz-Trompeten, „Alpha Venom“ eine treibende Krautrock-Nummer, „Rote Beeten aus Arsen“ ein schwelender Chanson und „Everything is good“ ein lupenreiner, federnder 80er-Synthpop-Banger in Cyndi-Lauper-Manier.
Hunger verschleiert allerdings bis zum Closer, der brillanten Klavierballade „Stranger“, warum sie auf „Halluzinationen“ so verloren und suchend klingt, warum die Stimmung immer wieder kippt. Hier klingt Hunger am ehesten nach der Songwriterin, als die sie einst begonnen hat.
Allein am Klavier, von schemenhaften Becken begleitet und feierlichen Chorälen umschmeichelt, betrauert sie das Ende einer Liebe – dann wendet sich der Song ins Euphorische, und man erkennt das vorangegangene Gefühlschaos als die getriebene Erkundung eines neuen Lebens, das dem alten jäh entwachsen ist: „You’re holding my hand like something you learned a long time ago/48 hours, how did we get here, where do we go?/48 hours of hope“, singt Sophie Hunger, und entlässt einen dann ganz plötzlich mit den leichtesten Tönen, die man jemals gehört zu haben vermeint, in eine schöne neue Welt.