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Sound of Mauerfall: Zehn Songs zum Tag der Deutschen Einheit

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(Foto: pixabay/_daskameraauge_)

Feiern oder Weinen? Der Tag der Deutschen Einheit steht an, und wir haben zehn Bewältigungssongs zusammengestellt: vom dusseligen Mythos bis zur knallharten Wahrheit.

Eingedenk des jüngsten blauen Siegeszuges in den neuen Bundesländern und der völligen Zersplitterung einer bundesweiten Linken hat es sich selten so falsch angefühlt, den Tag der Deutschen Einheit zu feiern. Klar, feiern ist in diesem Kontext ohnehin ein großes Wort, ist der 3. Oktober für die allermeisten wohl einfach ein gern gesehener Brückentag. Aber wie wenig die Einheit dann doch funktioniert hat, wie wenig die 90er-Jahre überwunden sind und wie sehr Ungleichheit und Spaltung dieses Land zerreißt, wird heute immer deutlicher. Oder wie es mein Kollege Matthias Jordan gerade formuliert hat: „Dass der Westen dem Osten in Sachen Demokratie viel voraushätte, ist trotz der jüngsten Wahlergebnisse eher fraglich. Wie heißt es doch so schön? Nur, weil man statt AfD oder BSW lieber CDU oder FDP (oder, seien wir ehrlich, SPD oder Grüne) wählt, ist deshalb noch lange nicht weniger rassistisch, sondern hat vielleicht einfach ein bisschen mehr Geld.“

Es wäre vermessen, all diese Probleme mit Musik lösen zu wollen. Und auch, wenn er es gern so hätte, hat David Hasselhoff die Mauer auch nicht alleine zum Einsturz geblökt. Trotzdem: Gute Songs können Gutes bewirken. Und sie können eine Kraft freisetzen, die, wenn sie auch nicht mobilisierend wirkt, immerhin zur Reflexion anregt. Wir hätten da zehn Songs, von denen wir uns wenigstens letzteres versprechen. Von dusseligem Mauerfall-Mythos bis zu knallharten Wendenachwehen.

„Spitzel“ von Schleimkeim

Die 1980 gegründete Punkband Schleimkeim gilt bis heute als die erste relevante Punkband aus der DDR. Vom Staat geächtet, von der Szene vergöttert – und durchzogen von Kontroversen. Wie es sich halt gehört, für eine echte Punkband. Zumal Schleimkeim seit Anbeginn Punk in Reinform und kein krawalliges Modephänomen gewesen ist. Von so viel DIY und Abfuck konnten die Sex Pistols nur träumen. Galt Punk in der DDR als „fehlentwickelt“, mussten sich Bands wie Schleimkeim eigene Räume schaffen. Und so waren es zunächst Evangelische Kirchen, die der Punkband Platz zum Spielen boten. Doch die Szene wuchs, und somit auch das Interesse des Ministeriums für Staatssicherheit. Dies führte so weit, dass nicht nur das Publikum infiltriert, sondern irgendwann sogar die Band selbst unterwandert wurde – in Person von Frontmann und Schlagzeuger Dieter „Otze“ Ehrlich. Otze, der Spitzel von unten. Die NDR-Dokumentation „Otze und die DDR von unten“ erzählt von dieser unglaublichen Geschichte, aber auch von Otzes Absturz und seinem gewalttätigen Mord an seinem eigenen Vater.

„Plattenbau O.S.T.“ von Zugezogen Maskulin

Mit „Plattenbau O.S.T.“ hat Testo alias Hendrik Bolz von Zugezogen Maskulin bereits Jahre vor seinem Wendezeit-Roman „Nullerjahre“ der Tristesse und der Perspektivlosigkeit sowie der daraus resultierenden Feindseligkeit und Gewalt in der ehemaligen DDR eine Stimme verliehen. Tatort: Stralsund. Seine Jugend zu verschwenden ist immer nur dann cool, wenn es irgendwo im Berliner Szene-Kiez auf Ketamin passiert. Mit Billigschnaps an der Ostsee sieht es dann schon anders aus. „Plattenbau O.S.T.“ ist ebene keine Teenie-Komödie.

„Cottbus“ von Audio88 & Yassin

Dass die Tristesse und Perspektivlosigkeit, die Testo in „Plattenbau O.S.T.“ so fantastisch einzufangen vermag, perfekter Nährboden für Radikalität ist, weiß Audio88 nur zu gut. Mit seinem Solosong „Cottbus“ richtet sich der Rapper an die Menschen der Stadt, in der er seine Jugend verbracht hat. In einer Stadt, in der Klassenkameraden Jacken mit der Aufschrift „Herrenrasse“ getragen haben, Partys von Neonazis gestürmt und Brandanschläge weggelächelt wurden. Wie das alles möglich gewesen ist? Die Antwort ist ganz einfach: kollektives Schweigen, kollektives Wegschauen. Damals wie heute. Und so adressiert Audio88 seinen Song eben nicht an Nazi-Maik, sondern an uns alle, die wir täglich wegschauen: „Das geht nicht an Nazi-Maik und seine Freunde, die Versager/Das hier geht an jeden, der etwas gesehen und nichts gesagt hat/An Richter, an Lehrer, an Nachbarn, an Trainer/Kollegen, Verwandte, ihr seid ganz genau so Täter.“

„90sOST“ von Pöbel MC

Auch der Rostocker Rapper Pöbel MC teilt ähnliche Erfahrungen: 90er-Jahre zwischen Jochbeinbruch und Küstenwind, westdeutsche Vorverurteilungen, Drogen, Absturz, Einsamkeit und Gewalt. „Wir wollen hier weg, doch haten jene, die nicht blieben/Es gibt keine Heimat, nur Geschichten, die prägen“, rappt der Nobelatze auf „90OST“, einer Vorabsingle seines neuen Albums „Dr. Pöbel“ und fängt damit das eigene ambivalente Verhältnis zur Ost-Identität ein, wobei er sein breites mecklenburgisches Idiom auf seinen neuen Songs zunehmend bewusster nach außen kehrt. Vielleicht auch eine Ansage an westliche Arroganz? Immerhin heißt es später im Song: „Spar’ dir ma’ dein Mitleid, es gibt nichts zu bedauern/Haben auf unserem Weg gelernt uns eigenständig zu empowern“.

„Grauer Beton“ von Trettmann

Die etwas mildere, aber nicht minder graue Perspektive lieferte Trettmann 2017 mit seinem Song „Grauer Beton“. „Man hat uns vergessen dort, Anfang der Neunziger Jahre“, so das niederschmetternde Fazit eines Songs, der von brach liegender Infrastruktur, der Sehnsucht nach weißen Sneakern und den Abgründen in der Platte erzählt. Dass so ein dezidiert kritischer Song auf über 40 Millionen Streams bei Spotify kommt, ist herausragend. Selbiges ist dem Song „NAWW“ auf seiner jüngsten EP „Your Love is King“ zu wünschen. Gemeinsam mit der DDR-Jazzikone Uschi Bruning hat Trettmann seine Wendezeit-Erzählung erweitert und einen neuen, nicht ganz so grauen Anstrich verliehen.

„Berlin“ von Fischer-Z

Eine Band, die mit einem ganzen Konzeptalbum über das geteilte Berlin, das geteilte Deutschland, ja über die geteilte Welt berühmt geworden ist, ist Fischer-Z. Die britische New-Wave-Formation um John Watts hat 1981 mit „Red Skies over Paradise“ ein Album in Angesicht des kalten Krieges geschrieben, der natürlich auch Deutschland fest im Griff hatte. Dass die Platte mit dem Song „Berlin“ beginnt, ist natürlich kein Zufall. „Young faces new ideals, in search of paradise/They merge into the history, the theatre of memories“, singt Watts über eine Stadt voller Klubs und Leben, und es scheint, als hätte er bereits eine Vorahnung gehabt.

„Am Alex an der Weltzeituhr“ von Haiyti

Es ist schier unmöglich über Musik und ein geteiltes Deutschland nachzudenken, ohne dass sich einem Liedermacher und einst bekennender Kommunist Wolf Biermann aufdrängt: im Westen geboren, in die DDR emigriert und schließlich von ihr verstoßen, weil zu politisch. Das noch von Pöbel MC beschriebene ambivalente Verhältnis verkörpert Biermann wie kein zweiter, und seine Kunst ist aktueller denn je. Auch deshalb erscheint mit „Wolf Biermann RE:IMAGINED– Lieder für jetzt!“ im November ein Album, das die wichtigsten Songs des Liedermachers neu interpretiert. Dafür hat sich eine illustre Runde deutscher Musiker:innen zusammengefunden: von Alligatoah, Ina Müller und Betterov bis Haiyti, die mit „Am Alex an der Weltzeituhr“ einen Song über das Denunziantentum in die Gegenwart verfrachtet hat. Passt doch irgendwie. Schließlich ist nicht erst seit Corona das Verpetzen wieder deutscher Volkssport.

„Go West“ von den Pet Shop Boys

Okay, okay. So wirklich hat „Go West“ von den Pet Shop Boys wirklich nichts mit dem Mauerfall oder dem Tag der Deutschen Einheit zu tun. Entspringt der Song doch eigentlich der queeren Sehnsucht nach sexueller Freiheit, die, so zumindest die Idee, an der liberalen Westküste Amerikas zu finden war. Aber irgendwie passt der Song dann doch. Will die Brandenburger AFD doch Pridefahnen an öffentlichen Gebäuden verbieten. Da bleibt neben Widerstand dann vielerorts nur noch die Flucht Richtung Westen. Und ein Song, der für Gleichberechtigung und Freiheit einsteht, ist in dieser Liste jedenfalls nicht völlig Fehl am Platz.

„Heroes“ von David Bowie

„Die Mauer muss weg!“ – eine Parole, die sich in das kollektive Gedächtnis eingebrannt und ihren Weg sogar bis zu David Bowie gefunden hat. Mit „Heroes“ hat der lange Zeit in Berlin lebende und von dieser Zeit inspirierte Bowie 1977 eine heimliche Mauerfallhymne geschrieben. „Standing by the wall/And the guns shot above our heads“, singt der Superstar und erzählt von einer Liebesgeschichte im geteilten Berlin. Und als Bowie diesen Song dann zehn Jahre später, 1987, live in Berlin gespielt hat, begann das Publikum, „Die Mauer muss weg!“ zu skandieren.

„Wind of Change“ von den Scorpions

Gönnen wir uns hinten raus doch noch ein bisschen Kitsch. „Wind of Change“ gilt als die absolute Wende- und Mauerfallhymne. Das eigentlich Spannende ist aber, wie es dazu gekommen ist. Immerhin ist der Song erst nach dem Mauerfall als auch nach dem Einigungsvertrag veröffentlicht worden. Auch inhaltlich dreht sich der Song nicht um ein geteiltes Deutschland oder den Mauerfall. Und doch berichtet Klaus Meine, Sänger der Hannoveranischen Band, dass „Wind of Change“ inspiriert gewesen ist von einem Aufenthalt in der Sowjetunion kurz vor dem Mauerfall. Dort soll er bereits dieses laue Lüftchen der Veränderung gespürt haben.

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