„Squid Game – Staffel 2“: Revanche in der Franchise-Hölle
Mit „Squid Game“ geht die kapitalismuskritische Gelddruckmaschine von Netflix in die zweite Staffel, setzt auf Bewährtes und überrascht dennoch.
Seit dem Streaming-Boom in den 2010er-Jahren und dem daraus resultierenden Bedeutungsverlust linearen Entertainments werden die verzweifelten Rufe nach sogenannten Lagerfeuer-TV-Momenten zunehmend lauter: Samstagabend, 20:15 Uhr, im ZDF läuft „Wetten, dass..?“, und ganz Deutschland versammelt sich vor dem Fernseher. All das ist Geschichte. So muss die Streamingwelt oft als vermeintlicher Teilchenbeschleuniger spätmoderner Vereinzelung herhalten. Dabei hat es doch vor drei Jahren ausgerechnet die exklusiv für Netflix produzierte Serie „Squid Game“ geschafft, innerhalb weniger Tage die halbe Welt (142 Millionen Netflix-Konten in vier Wochen) vor den Endgeräten zu versammeln. Das war kein Lagerfeuer, das war ein Flächenbrand. Und wenn die zweite Staffel der südkoreanischen Gesellschaftssatire am 26. Dezember bei Netflix (jetzt streamen) an den Start geht, dürfte dies sogar getoppt werden.
„Squid Game – Staffel 2“: Am 26. Dezember auf Netflix
Die Handlung von „Squid Game – Staffel 2“ setzt drei Jahre nach Gi-huns (Lee Jung-jae) Sieg im mörderischen Battle Royale der Hochverschuldeten an. Gi-hun hat als einziger von 456 Teilnehmer:innen die Spiele überlebt und damit ein riesiges Vermögen abgesahnt. Doch anstatt es sich damit gutgehen zu lassen, sucht er verzweifelt nach dem mysteriösen Mann, der durch die U-Bahn-Stationen Seouls zieht, um mit einem billigen Kinderspiel die Gier in all jenen Menschen zu kitzeln, die ohnehin bereits am persönlichen Abgrund stehen, um sie so für das Squid Game zu ködern.
In einem von Gi-hun aufgekauften und zur Kommandozentrale mit Waffenkammer und Schießstand umgerüsteten Hotel versammelt er seine Task-Force aus von ihm gut bezahlten Schmalspurganoven. Und während Gi-hun mit schier ritterlichem Ehrgefühl die Rache für seine 455 – mal ausgenommen des alten Opas – verstorbenen Mitstreiter:innen plant, sucht auch der junge Polizist Jun-ho (Wi Ha-jun), der nur knapp die Ermittlungen der ersten Staffel überlebt hat, nach der geheimen Insel, auf der sich ein paar Superreiche an den tödlichen und von seinem Bruder initiierten Spielen belustigen. Kaum erfahren die beiden von ihrem geteilten Interesse, das Squid Game zu stoppen, landet Gi-hun in einem selbst provozierten Hinterhalt und muss feststellen, dass ihm keine andere Wahl bleibt, als noch einmal an den Spielen teilzunehmen.
Zurück in der pastellfarbenen Hölle
Bis dahin glänzt „Squid Game – Staffel 2“ unter der Regie von Hwang Dong-hyuk, der als erste Regisseur Asiens einen Emmy für die beste Regie einer Dramaserie gewonnen hat, mit einem erfrischend neuen Ansatz: runter von der Insel, rein in die echte Welt. Die überstilisierte Action als auch die an Animes erinnernden überzeichneten Dialoge und Charaktere machen weiterhin enormen Spaß, und das Wechselspiel zwischen Jägern und Gejagten zieht einen tief in das schön inszenierte Seoul. Allerdings landet Gin-hun eben doch recht zügig wieder eingekleidet im grünen Trainingsanzug in der pastellfarbenen Hölle. Und trifft sogar einen alten Bekannten.
Was sich für uns und Gin-hun wie ein Groundhog Day anfühlt, ist für alle (wirklich alle?) 455 anderen Teilnehmenden komplett neu. Tatsächlich steigert dies auch den Reiz der zweiten Staffel insofern, als dass wir zu wissen scheinen, was als Nächstes passiert. Wir kennen die Spiele. Wir wissen um die Tragik. Und so sind auch wir genauso überrascht wie Gin-hun, wenn sich die Serie eben nicht immer an diese Abmachung hält …
„Squid Game – Staffel 2“: Kreative Bequemlichkeit?
An satirischer Schärfe gewinnt „Squid Game – Staffel 2“ dadurch allerdings nicht. Die Parameter bleiben dieselben: reiche Eliten oben, arme Individuen unten, die durch ihre völlige Abhängigkeit von Geld zu jedweder Handlung getrieben werden können. Gier vs. Großmut. Vereinzelung vs. solidarische Gemeinschaft.
Das alles sieht wie schon in Staffel 1 super stylisch aus und ist so gut geschrieben, dass plötzlich vier Folgen verstrichen sind und man nicht einmal auf die Uhr geschaut hat, dennoch muss sich die zweite Staffel „Squid Game“ den Vorwurf kreativer Bequemlichkeit gefallen lassen. Klar, es gibt ein paar Neuerungen: Nach jedem Spiel muss die Gemeinschaft etwa abstimmen, ob weitergespielt oder aufgehört werden soll, um das bislang erspielte Geld unter allen verbliebenen Teilnehmer:innen aufzuteilen. Zudem blicken wir erstmalig genauer in den Maschinenraum des ganzen Spektakels und erfahren mehr über einzelne Handlanger:innen hinter den mit geometrischen Formen versehenen Fechtmasken. Trotzdem ist die zweite Staffel ein Abziehbild der ersten, was womöglich auch daran liegen mag, dass nie eine Fortsetzung geplant war. Offiziell soll nach der dritten Staffel dann Schluss sein.
In jedem Fall werden auch diese sieben Folgen wieder für einen Streaming-Flächenbrand sorgen. Doch nicht nur das. Schon nach Staffel 1 hat sich die kapitalismuskritische Serie schnell zu einem weltweiten Phänomen und einer absoluten Gelddruckmaschine entwickelt. Selbst das deutsche Reality-TV hat mit dem Format „The 50“ eine lupenreine Kopie geliefert, und 2024 hat in New York ein Squid-Game-Themenpark geöffnet, der erst der Anfang eines riesigen Franchise-Imperiums werden soll. Wer heute also noch ein Lagerfeuer-TV-Moment will, bekommt bloß nur noch riesige Franchises, und das Geld bleibt bei einigen wenigen – eigentlich wie bei „Squid Game“.