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Subversion im Penis-Pelz: „Pleasure“ von Jovana Reisinger

Mit „Pleasure“ bricht Jovana Reisinger eine Lanze für den Konsum – und für all das, was oftmals als tussig oder girly gilt.
Mit „Pleasure“ bricht Jovana Reisinger eine Lanze für den Konsum – und für all das, was oftmals als tussig oder girly gilt. (Foto: Sophie Wanninger)

Weil Jovana Reisinger auf dem roten Teppich beleidigt wird, schreibt sie „Pleasure“. Es ist ein Manifest für den Glamour.

Wo die Kritik an Kitsch und Konsum allzu locker sitzt, sind auch Klassismus und Sexismus nicht weit. Eine steile These, die Schriftstellerin, Regisseurin und Kolumnistin Jovana Reisinger in ihrem neuesten Buch „Pleasure“ mit unverschämter Coolness durchdringt. Alles beginnt beim Münchner Filmfest: roter Teppich, Blitzlichtgewitter, angemessene Aufgeregtheit bei der Kulturelite. Und plötzlich das: „Was macht eigentlich die Prostituierte auf dem roten Teppich?“ Gemeint ist Reisinger im knallpinken La-Perla-Kleid, auf Heels mit pfennigschmalen, einen Schmetterling aufspießenden Absätzen, eingehüllt in einen Mantel mit aufgedruckten Penissen. Genauso gut hätte es heißen können: Was macht das Unterschichtenkind auf der super elitären Kulturveranstaltung? Ein Erlebnis, das zum Auslöser für Reisingers – wie sie es selbst nennt – „Manifest für den Glamour“ wird.

„Pleasure“: Die Behauptung des guten Lebens

„Pleasure ist die Behauptung des guten Lebens, der Sorglosigkeit, des Luxus, des Vergnügens, der Unterhaltung“, schreibt Reisinger. Das Entscheidende ist das Wörtchen „Behauptung“. Hier geht es nicht um Jachthafen, Jestset oder Edelrestaurants, wie sie weiter ausführt, „Pleasure geht auch auf dem Balkon, dem Sofa, in guter Gesellschaft oder allein.“ Was die in Österreich aufgewachsene Münchnerin hier beschwört, ist die pure Performativität des eigenen Lebens, die in Zeiten aktuell andauernder Authentizitätsversprechen auf wenig Wohlwollen trifft.

Wer einmal Reisingers Instagram-Profil besucht hat, wo sie ihr Leben betont frivol auf die Pleasure-Momente herunterbricht, wird wissen, dass der Schriftstellerin wenig so egal sein könnte wie Authentizität. Und so wird annähernd jede Szene ihres Buches zuerst einmal mit der detaillierten Beschreibung des eigenen Outfits spielerisch in neue Kontexte gesetzt, sodass etwa der gesellschaftliche Code einer in Designerklamotten bestellten Portion Pommes am Imbiss einem Austernteller im KaDeWe gleichkommt.

Pleasure ist also eine Haltung zum Leben. Kein guilty pleasure. Reisingers Absicht ist es, den Konsum und die Lust aufs schöne Leben von der Scham zu befreien. Ein obszönes, vulgäres Ja zum Leben. Ein Fest der Grundlosigkeit. Eine ausufernde Übertreibung des landläufigen Gönn’ dir. „Ich will über das ausbeuterische System lachen und trotzdem in ihm brillieren“, schreibt die Münchnerin gleich zu Beginn ihres Buches. Einer der vielen scheinbaren Widersprüche, die Reisinger in ihrer „Pleasure-Triade“ aus Mode, Essen und Schlaf gekonnt aus-, aber nie auflöst. Schließlich weiß sie als Filmemacherin um die Macht der Fallhöhe. Und so bricht sie immer wieder mit den Erwartungen, lässt Weisheiten von Paris Hilton auf Zitate von Audre Lorde prallen.

„Fotzig“, politisch, feministisch

Auf der Suche nach dem Glamour zieht es einen irgendwann zumindest bis in die Nähe des Kulturbetriebes. Dass sich in der dort versprochenen Selbstverwirklichung immer auch ein erhebliches Maß an Selbstausbeutung versteckt hält, weiß Reisinger nur zu gut. Sich im vollen Bewusstsein und völliger Alternativlosigkeit in diese Selbstausbeutung zu schmeißen, sich gar mit ihr zu schmücken, ist zentral für Reisingers Überlungen, die wahnsinnig witzig und klug zugleich sind. Mit „Pleasure“ beweist die Gastronom:innen-Tochter die Kraft des Umdeutens. Erzählt vom eigenen Klassenwechsel. Dechiffriert gesellschaftliche Codes, macht sie sich zu eigen: Sie feiert sich selbst als „Tussi“, die Männer in ihrem Buch sind bloß Crushes, Lover oder Ex-Ehemänner. Ihr Glamour braucht kein Geld. Ihr Glamour kommt von unten. Er ist „fotzig“, politisch, feministisch.

White Feminism?

Liest man nicht aufmerksam genug oder gar voreingenommen, kann der Eindruck entstehen, hier sei über 320 Seiten auf dem Rücken feministischer Konzepte ein erlaubnisgebender Gedanke für den eigenen zügellosen Hedonismus ausformuliert: White Feminism also. Aber weit gefehlt.

Reisinger ist sich jedem Privileg – selbst dem pretty privilege – bewusst, gibt unentwegt Credits an andere, an PoC-Feminist:innen und Gedanken, die aus der queeren Community stammen und hat ein feines Gespür für ihre eigene Position im großen Weit der Klassenkunst. Sie räumt selbst ein, dass aktuell „ein Fokus auf dem Schlagwort Identität“ liegen würde. Für die Feuilletons, die Bildungsbürgerkids ist dies bloß ein weiterer zu behandelnder Gegenstand. Für das Unterschichtenkind vom roten Teppich ist die Verwertung der eigenen Identität jedoch alternativlos, oder wenn man ganz oben ins Regal greifen will: eine Überlebensstrategie. Oder wie Reisinger schreibt: „Das schöne Leben als Rache an der Herkunft“.

Mit was für einer Hingabe sich die 35-Jährige in jeden Gedanken stürzt, dabei auf maximale Distanz zum Vorwurf der Denkfaulheit geht und die Oberflächlichkeit in Subversion verwandelt, ist brillant. Ein kluges und wie Strass funkelndes Buch in der sonst dann doch oft biederen Welt der Klassenliteratur.

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