„Going down dancing“ von Sweet Tempest: Die Blase platzt
Das dänische Duo Sweet Tempest ist vor kurzem nach Berlin gezogen – um endlich mal richtig Scheiße bauen zu können.
Julian, Luna, als Sweet Tempest habt ihr früher Dreampop gemacht, aber auf eurem Debütalbum „Going down dancing“ dominieren 80er-Synths. Wie kommt’s?
Julian Winding: Die Veränderung unseres Sounds ist mit großen Veränderungen in unserem Leben einhergegangen. Wir sind in ein neues Land gezogen, und auf einmal war alles anders. Es hat sich einfach richtig angefühlt, etwas zu machen, das wir so noch nie gemacht haben. Wir sind mit Dreampop aber noch lange nicht fertig!
Was hat euch bewegt, diesem Sound zumindest temporär den Rücken zu kehren?
Luna Kira: Wir haben damals beide in Kopenhagen gewohnt, und die Welt um uns herum war ziemlich kalt, sodass wir uns unsere eigene, gemütliche Blase geschaffen haben. Unsere Texte waren sehr märchenhaft, wir wollten ein warmes Gefühl erzeugen. Aber dann ist uns die Umwelt irgendwie näher gekommen, vor allem politisch – und wir haben eine Beziehung begonnen, waren nicht mehr länger nur befreundet. Schließlich sind wir auch noch nach Berlin gezogen. Die Musik ist damit rauer und aggressiver geworden, weil auch die Welt um uns viel härter ist.
Das Album ist offen politisch: „White Country“ nimmt sich Immigrationspolitik vor, „Party in Panama“ thematisiert Steuerhinterziehung.
Winding: Vor allem während der Pandemie, als wir zu Hause gesessen haben, waren wir viel im Internet unterwegs und haben Zeitung gelesen. Ob es nun um die Proteste Hongkong ging oder eben um Covid …
Kira: Wobei wir schon vor der Pandemie begonnen hatten, politische Songs zu schreiben, darunter „White Country“ und „Modern Justice“.
Winding: Stimmt, mein Gedächtnis ist grottenschlecht. (lacht)
„Dänemark ist im Umgang mit der Flüchtlingskrise deutlich härter als viele andere Länder in Europa. Uns war es peinlich, dass wir von dort stammen.“ Luna Kira von Sweet Tempest im Interview über das Debütalbum „Going down dancing“
Was hat euch zu „White Country“ inspiriert?
Winding: Dänemark kann wunderschön sein. Aber es liegt auch Brutalität darin, wie wir mit anderen Menschen umgehen. Als sie zum Beispiel angefangen haben, Geflüchteten Schmuck abzunehmen, um damit die Kosten ihres Aufenthalts zu bezahlen, dachten wir nur: Heilige Scheiße.
Kira: Dänemark ist im Umgang mit der Flüchtlingskrise deutlich härter als viele andere Länder in Europa. Uns war es peinlich, dass wir von dort stammen. Der Song ist eine Auseinandersetzung damit.
Wie unterscheiden sich Kopenhagen und Berlin in euren Augen?
Kira: Mit dieser Frage machst du Julian eine große Freude, das ist nämlich sein Lieblingsthema. (lacht)
Winding: Stimmt, ich bin sehr froh, hergezogen zu sein. Es ist schön, an einem Ort zu leben, an dem du sagen kannst: Ich bin schon wieder pleite, ich hab Scheiße gebaut! Und alle um dich herum antworten nur: Ich auch! In Dänemark gibt es keine Gnade. Wenn du nicht ins Raster passt, wirst du zurückgelassen.