„The Critic“: Sir Ian McKellen als Anti-Gandalf

„The Critic“ mit dem furiosen Ian McKellen in der Hauptrolle kommt jetzt in die Kinos. Muss man sehen – aber nur wegen McKellen!
In „The Critic“ macht Theater- und Filmaltstar Sir Ian McKellen, berühmt als Zauberer Gandalf in der „Herr der Ringe“-Trilogie und als Mutant Magneto in den Comicverfilmungen der „X-Men“-Reihe, die Kinoleinwand zu seiner Bühne. Vielleicht ein letztes Mal – McKellen ist wird bald 86 Jahre alt. Den Mann mit der sonoren Stimme noch einmal in einer alle Mitdarsteller überstrahlenden Rolle zu sehen – das ist ein guter Grund, sich „The Critic“ anzusehen. Der Film an sich ist es nicht.
1934 in England: Theaterkritiker Jimmy Erskine (Sir Ian McKellen, „The good Liar“) ist die am meisten gefürchtete Edelfeder der Londoner Kulturpresse. Seit Jahrzehnten schreibt er für den Daily Chronicle Schauspieler in den Himmel hinauf oder, noch viel öfter, in die Hölle hinab. Sein Anspruch an die Protagonisten der Kunst ist fast unerreichbar groß. Eines seiner „Opfer“ ist Bühnenschauspielerin Nina Land (Gemma Arterton, „Summerland“, „Murder Mystery“), die Erskine seit nunmehr zehn Jahren unnachgiebig kritisiert. Warum sie dann überhaupt noch Rollen an den großen Theatern der Stadt bekommt, wo Erskines Urteil doch so wirkmächtig ist – das lässt der Film ebenso offen wie die Antwort auf die Frage, wieso sie mit solchen großen Rollen immer noch als Untermieterin in einem Minizimmer wohnt. Und wieso sie überhaupt satisfaktionsfähig sein sollte für den Kettenhund der Kulturkritik, wo sie doch in den Theaterszenen im Film ganz eindeutig schlecht spielt und somit von Erskine zu recht in Bausch und Bogen gegeigt wird – auch das erschließt sich nicht. Es mag an Gemma Artertons Spiel liegen oder an Regisseur Anand Tucker oder am Drehbuch. Es liegt wohl allen dreien …
Erskine jedenfalls hält sich für allmächtig und unantastbar – was er nicht ist. Als die Zeitung nach dem Tod des Altverlegers von dessen Sohn, dem Viscount David Brooke (Mark Strong), übernommen wird, fordert dieser Erskine auf, sich im Ton zu mäßigen. Erskine weigert sich, hat aber bald ganz andere Probleme, als er mit einem jungen Stricher im Park erwischt wird. Homosexualität ist zu der Zeit in England strafbar. Brooke entlässt Erskine, da der Chronicle auch familienfreundlicher werden soll und so ein Skandal da gar nicht passt. Der Geschasste plant daraufhin eine Intrige gegen Brooke: Er überredet die stets am Rande des Nervenzusammenbruchs stehende Nina, mit dem eh in sie verschossenen Viscount ins Bett zu gehen. Als Gegenleistung erhält sie von Erskine hymnische Kritken, und Erskine dann per Erpressung vom Viscount seine Stelle zurück …
McKellen hat riesige Freude an der Rolle dieses fiesen Schreiberlings. Gierig lutscht und saugt er an seinen Zigaretten, schlürft genüsslich seinen Wein herunter und lächelt auf ungefähr 20 verschiedene Arten maliziös. Damit wirkt er wie im falschen Film, denn zum einen überspielt er seinen Part ziemlich, zum anderen erinnern Story und Inszenierung eher an einen dieser biederen, seifenopernhaften, englischen Fernsehkrimis, die auf den Spartenkanälen der Öffentlich-Rechtlichen in Dauerschleife laufen, nur in etwas viel Rot und gelb getaucht. Wie naheliegend wäre es gewesen, sich der Macht und Ohnmacht der Kulturkritik zuzuwenden, in den heutigen Zeiten von Clickwahn, sozialen Medien und allgegenwärtigen PR-Strategien ein spannendes Thema. Aber auch der zu großen Teilen selbstgemachte Abstieg des Journalismus als solcher ist in der Geschichte drin. Stattdessen kriegen wir einen komplett vorhersehbaren Krimi zu sehen, der eigentlich nichts zu erzählen hat und in Nina Land mit einer der manipulierbarsten und erbärmlichsten Frauenfiguren der jüngeren Filmgeschichte aufwartet. In einem Film über einen gnadenlosen Kritiker liefert man besser keine suboptimale Leistung ab. Jimmy Erskine hätte „The Critic“ mit Verve in der Luft zerrissen!
Eine Oscar-Nominierung für die Beste männliche Hauptrolle sprang für Sir Ian Mckellen übrigens nicht heraus – man wird das Gefühl aber nicht los, dass er die Rolle genau aus dem Grund übernommen hatte. Aber so schlimm wie bei seinem letzten Film wird es dann auch nicht werden: Die Musicalverfilmung „Cats“ erhielt 2019 sechs der berüchtigten Anti-Oscars Goldene Himbeere, darunter als schlechtester Film …