Unknown Mortal Orchestra im Interview zu „V“
Mit seinem Unknown Mortal Orchestra setzt er auf cheesy Songs. Doch gibt es auf „V“ auch Themen, bei denen Ruban Nielson zu härteren Mitteln greift.
Ruban, das Album „V“ ist während einer Auszeit in Palm Springs entstanden – du hast kurz vor einem Burnout gestanden. Ich höre eine große Sehnsucht nach Entschleunigung, und dennoch verfällst du nie ins Belanglose.
Ruban Nielson: „Africa“ von Toto war eine Blaupause für das Album. Der Arbeitstitel war „Guilty Pleasures“. Wenn es ein Wort auf einem Moodboard bräuchte, um das Album zu beschreiben, wäre es „cheesy“. Ich wollte cheesy Songs machen.
Mutig. Ein Song auf deinem Album heißt auch noch „Guilty Pleasures“. Dabei haben wir doch immer Angst vor einem vermeintlich inkonsistenten Musikgeschmack.
Nielson: Menschen lieben Kontrolle. Sich instinktiv der Musik hinzugeben, bedeutet Kontrollverlust. Da ist ein konstruierter Geschmack schon wesentlich einfacher zu handhaben. Und vielleicht mögen einige Leute auch einfach nicht, was ihre Guilty Pleasures über sie aussagen. (lacht) Aber Geschmack ist etwas Superkomplexes: Wie faszinierend ist es bitte, dass wir regelmäßig Ohrwürmer von Liedern haben, die wir hassen? Guilty Pleasures kannst du nur haben, wenn du Schuld überhaupt als ästhetische Kategorie zulässt.
Hast du ein Guilty Pleasure?
Nielson: Eine ganze Zeit lang war es XXXTENTACION. Am Ende des Jahres ist mein Spotify-Wrapped voll mit Songs von ihm gewesen: einem superproblematischen Typen, der superproblematische Teenie-Musik macht. (lacht) Das hab ich dann natürlich für mich behalten.
Während der Albumproduktion warst du oft in Hawaii, der Heimat deiner Mutter, und hast dort bei der Pflege deines Onkels geholfen. Wieso ist Pflege oft noch ein Tabu-Thema?
Nielson: Da geht es um größerer Dinge wie Verantwortlichkeit, Individualität und Kollektivität. Im Westen ist Individualität zur Religion geworden, wobei soziales Engagement sozialem Status gleicht. Ich denke, die wahre Krankheit heißt Wachstum. Alles muss irgendein Wachstum versprechen: mehr Geld, mehr Prestige, mehr Spaß. Kinder zu bekommen ist da ein krasses Gegenteil – und Pflege sollte es genauso sein. Es macht uns menschlich. Es ist Teil unserer Reise.
Mit „I killed Captain Cook“ begibst du dich in das postkoloniale Erbe Hawaiis, der Heimat deiner Mutter. Mich erinnert das an die gefeierte Serie „The White Lotus“. Der postkoloniale Herrschaftsgestus scheint heute im Tourismus weiterzuleben.
Nielson: Hawaii ist fatalerweise total abhängig vom Tourismus. Doch es geht weit darüber hinaus: Auf Maui ist der Strand übersät von Müll. Das ist auch eine Form der Annexion. Du ruinierst das Paradies, das du vorher gestohlen hast, machst es zu deinem Spielplatz. Auf dem Mauna-Kea-Vulkan wurde gegen den Willen der Einheimischen ein astronomisches Observatorium gebaut. Das Militär führt nebenan Schieß- und Bombardementübungen durch, zerstört den Wald. Bei Honolulu kannst du aktuell kein Wasser mehr trinken. Das ist Wahnsinn. Die White-Lotus-Kritik an US-Amerikaner:innen, die für ihre Flitterwochen nach Hawaii kommen, ist zweifellos berechtigt – doch die USA zerstört buchstäblich Hawaii und macht die Menschen krank.
„Ihre Eltern hätten ins Gefängnis kommen können, wenn sie ihr Hawaiianisch beigebracht hätten.“
Welche Rolle spielt da ein James Cook?
Nielson: In der Schule haben wir viel Heroisches über ihn gelernt, meine Mutter hat mir hingegen immer die Geschichte von seinem Attentäter erzählt – das fand’ ich lustig. Als sie ein Kind war, war es seitens der US-Regierung noch illegal, Hawaiianisch zu sprechen. Ihre Eltern hätten ins Gefängnis kommen können, wenn sie ihr Hawaiianisch beigebracht hätten.
Am 14. Februar hast du per Instagram an den Jahrestag des Attentates auf James Cook erinnert. Sollten wir statt Valentinstag lieber den Todestag von James Cook feiern?
Nielson: Weder war James Cook ein Dämon, noch ein Engel: Er ist ein mehrdimensionaler Mensch. Wahrheit ist nie eindimensional. Es geht nicht darum, ob er ein guter oder schlechter Mensch war. Es geht um Bildung. Versuchen, die Welt zu verstehen. Geschichte ist brutal – brutaler als wir es in der Schule lernen.