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Unsere Plattentipps für den Mai

Neue Musik: Unsere Plattentipps im Mai
( Photo by Suzy Hazelwood from Pexels)

Die Neuerscheinungen im Mai: Das Comeback der Einstürzenden Neubauten, eine Neuorientierung von Car Seat Headrest und Laura Marlings Trostplatte.

Einstürzende Neubauten: Allen in Allem. Altes Berlin, neue Musik.Einstürzende Neubauten: Alles in Allem Altes Berlin, neue Musik: Keine Angst, der Titel des ersten Neubauten-Albums seit zwölf Jahren, das zudem ausgerechnet zum 40. Jubiläum der Band erscheint, ist natürlich nicht so plump resümierend gemeint, wie er klingt. Denn anstatt zu reduzieren, zusammenzufassen, auszuwerten, weiten Blixa Bargeld und seine Einstürzenden aus, stellen infrage: „Alles in Allem“ ist ein Porträt Berlins, in das sich immer wieder schemenhaft die Bandgeschichte und persönliche Erinnerungen einschreiben. Eingangs zitiert man sich zwar selbst – wie im Industrial-Hybrid „Ten Grand Goldie“ oder der Postpunk-Volksmusik-Ballade „Am Landwehrkanal“ – doch das Ergebnis steigt nicht den lärmenden Sturm-und-Drang-Jahren der Neubauten nach. Vielmehr wirken diese Stilistiken wie durch den Filter ihrer späteren freiförmigen Experimentalmusik betrachtet, die sich schon längst keine Genregrenzen mehr setzt, und auf die sich das Album in der zweiten Hälfte zubewegt. Das ist dann auch das einzige, was einem Resümee gleicht. Denn „Alles in Allem“ ist kein Fotoalbum, in dem sentimentale Schwarzgekleidete blättern können, sondern ein offener Raum, dessen einzige Sicherheit seine Grenzenlosigkeit zu sein scheint: „Hier komme ich abhanden“, heißt es im abschließenden „Tempelhof“

the 1975 notes on a conditional form. Die wohl heißersehnteste Neuveröffentlichung im MaiThe 1975: Notes on a conditional Form Bei The 1975 Kohärenz zu erwarten, war schon immer illusorisch, und das gilt bei ihrem bisher längsten Album umso mehr. Indie sind Matty Healy und Kumpane längst nur noch nominell: Zu gern bedienen sie sich bei anderen Genres von Hardcore bis New Wave. Das wirkt schnell mal kopflos – zugleich sind die konventionelleren Songs der Platte aber auch die langweiligeren. Am besten funktioniert „Notes on a conditional Form“ daher in seinen Extremen: Wenn die Band den Opener „The 1975“ komplett Greta Thunberg überlässt, die fünf Minuten lang zu zivilem Ungehorsam aufruft. Oder wenn auf „Jesus Christ 2005 God bless America“ Healy und Gast Phoebe Bridgers von zwei Teenagern erzählen, die ihren Glauben und ihre Homosexualität nicht vereinbaren können – da bekommt auch die vorhersehbare Musik Charme. Ansonsten aber zündet die Platte gerade dort, wo alle Ernsthaftigkeit aufhört. Bei „Having no Head“ etwa wird eine Ambient-Soundcollage urplötzlich zu tanzbarem House. Und das kitschige „Tonight (I wish I was your Boy)“ sampelt den japanischen Citypop-Veteranen Hiroshi Satoh. Ziemlich prätentiös – aber zugleich so albern, dass man The 1975 nicht lange böse sein kann.

Dino Paris & Der Chor Der Finsternis: Alles wird ganz schlimm. Eines unserer Lieblingsdebüts der Plattentipps im Mai.Dino Paris & Der Chor Der Finsternis: Alles wird ganz schlimm Nach dem Plenum ziehst du dich aus der verrauchten WG-Küche in dein verrauchtes Zimmer zurück, zündest dir eine Zigarette an und nimmst einen Schluck aus der mit Leitungswasser gefüllten Mate-Flasche. Du lässt dich auf dein Palettenbett fallen und bläst Trübsal. Ihr habt beim Plenum viel über die Welt gesprochen, und es lässt sich nicht leugnen: Es sieht schlecht aus. Klimakrise, Kapitalismus und das ontologische Prekariat der Postmoderne – das ist doch alles scheiße. Also greifst du zu deiner Gitarre und schreibst einen Song darüber, wie geil es ist, sich wegen des Klimawandels das ganze Jahr über sonnen und Softeis essen zu können. Du bist dir dabei zwar nicht ganz sicher, auf welcher Ebene der Ironie du dich befindest, aber dein erstes Album „Alles wird ganz schlimm“ wird für seinen eigenen Elektrofolkpop-Sound, die unverschämt eingängigen Melodien und den aller Schlaumeierei zum Trotz geilen Texte in sämtlichen Pop-Feuilletons als Beste Neue Musik gefeiert. Man vergibt dir sogar, dass in einem der nicht-ironischen Songs einmal ein Papierflugzeug auftaucht. Es wird ja schließlich auch angezündet.

Buscabulla: Regresa. Einer unserer Plattentipps für neue Musik im MaiBuscabulla: Regresa Alles so schön bunt hier! So wie Raquel Berríos and Luis Alfredo Del Valle verträumte Synthiesounds mit Tin Drums und einem Latin Twist tänzeln lassen, wähnt man sich sogar mit offenen Augen an den Traumstränden dieser Welt. Und wer träumt gerade nicht von Urlaub in anderen Ländern? Dabei hat das Duo auf seinem dritten Album mehr zu bieten als sorglose Ferienstimmung: Nach mehreren Jahren in den USA zogen Berríos und Del Valle zurück in ihre Heimat Puerto Rico – „Regresa“ verhandelt das Gefühl zwischen Heimweh und Heimkehr, das Hin- und Hergerissensein zwischen zwei Ländern, wie sie unterschiedlicher kaum sein können. Und so schwelt zwischen schwül wabernden Synthies, gechillten Schüttelrhythmen und dem verführerisch-schmeichelnden Gesang Bérrios’ diese gewisse Melancholie, die Buscabulla vom belanglosen Strandbar-Sound emanzipiert. Keine Frage, mit „Regresa“ lässt sich wunderbar durch verschwitzte Tage und Nächte tanzen, noch besser aber wirken die elf Songs in dem Moment, in dem das heraufdämmernde Tageslicht die wund getanzten Füße, das zerlaufene Make-Up und den Dreck am Straßenrand beleuchtet. Eine bessere Sommerplatte werden wir dieses Jahr nicht finden.

Car Seat Headrest: Making a Door less open. Einer unserer Plattentipps im Mai.Car Seat Headrest: Making a Door less open Nicht Christian Drosten, sondern Bob Dylan hat den 27-jährigen Musiker aus Seattle auf die Idee mit der Gesichtsverhüllung gebracht: „Bob Dylan said, ,if someone’s wearing a mask, he’s gonna tell you the truth … if he’s not wearing a mask, it’s highly unlikely.’“ Während His Bobness das Konzept aber nie umgesetzt hat, macht Toledo ernst – schließlich findet er einzelne Songs neuerdings viel spannender als die Arbeit an einem Albumkontext, und gemeinsam mit Schlagzeuger Andrew Katz hat er zuletzt das Projekt 1 Trait Danger etabliert, um mit elektronischer Musik zu experimentieren. Zwar haben Car Seat Headrest erst 2016 mit „Teens of Denial“ bewiesen, dass Gitarrenmusik nicht komplett überkommen klingen muss, doch jetzt will Toledo weiter. Die Songs von „Making a Door less open“ hat er zweimal aufgenommen: einmal in der üblichen Bandbesetzung und einmal nur mit synthetisch erzeugten Sounds. Wenn sie die beiden Ansätze verbinden, klingt das wesentlich spannender als bei den leicht abgehalfterten Indierockbands, die mit Elektronik um eine Daseinsberechtigung kämpfen. Zwar plustert sich die Single „Hollywood“ ein bisschen zu sehr auf und klingt so aufgesetzt wie all die ähnlichen Schmähungen von Madonna bis zu den Red Hot Chili Peppers, doch die positiven Beispiele überwiegen: Bei „Can’t cool me down“ gelingt ihnen Tanzbarkeit ohne Selbstverleugnung, der Drum-Computer von „Martin“ treibt sie immer wieder in die Innovation, das wunderbar larmoyante „Hymn“ könnte von Radioheads „Amnesiac“ stammen, auch „What’s with you lately“ will von Thom Yorke am Klavier gecovert werden, und „Life worth missing“ ist der aufmüpfige National-Song, auf den man seit „Alligator“ vergeblich wartet.

Laura Marling: Song for our Daughter. Neue Musik im MaiLaura Marling: Song for our Daughter Wer sich in den vergangenen Wochen nach Trost gesehnt hat, ist hier genau richtig: Laura Marlings Songs bringen Tee ans Bett, decken einen fürsorglich zu und werfen noch einen aufmunternden Blick zu, bevor sie das Zimmer verlassen. Das liegt keinesfalls allein an der Songwriterakustik der Engländerin – zu sehr hat Marling in den vergangenen Jahren mit Musik überrascht, die trotz eindeutiger Genreverortung Grenzen sprengen konnte. Auch „Song for our Daughter“ ging mit einem Neuanfang für die Musikerin einher: Trennung von Label und Management, nach jahrelangen Touren in einer festen Beziehung sesshaft werden in London und schließlich jede Menge musikalische Entwicklung – trotzdem verfügt ihr siebtes Album über den bewährten Zauber, trunken am Abgrund zu wandeln. Neben aller sanften Gitarrenakustik lauert eben auch stets Verstörendes im Hintergrund, eine verzerrte E-Gitarre, ein ignorant monotoner Schlagzeugbeat, ein aufmüpfiger Bass, vermeintlich schwelgerische Streicher. Es sind diese Momente wie das nachlässige, slackerhaft wirkende „Held down“, die Spur der Verachtung in „Strange Girl“ oder das nüchtern poppige „Only the Strong“, die zu individueller Stärke befähigen. Da verzeiht man auch die Pianoballade „Blow by Blow“ als Hommage an Paul McCartney. Marling hat eigentlich geplant, erst später im Jahr neue Musik zu veröffentlichen, den Termin aber angesichts der aktuellen Krise vorgezogen. Wir können ihr gar nicht genug danken!

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