Apocahitze now
Müssen wir uns an Ausnahmezustände gewöhnen? Wolf Harlander gibt mit seinem realistischen Near-Future-Thriller „42 Grad“ einen Ausblick auf die nächste Krise – und die wird uns nicht nur den Schweiß auf die Stirn treiben …
Der Ansatz von Wolf Harlander ist hochaktuell. Werden wir schon bald Wassereis statt Klopapier hamstern? Durch die Corona-Hysterie sind die Auswirkungen der globalen Erderwärmung zwar etwas in den Schatten getreten, doch auch bei uns sind die dramatischen Folgen des Klimawandels schon deutlich spürbar: extrem heiße oder vollkommen verregnete Sommer in Europa durch Verschiebung der Klimazonen nach Norden. Klar, kriegen wir mit, aber bisher war’s ja noch nicht wirklich dramatisch. Dürre, Seuchen und Erdbeben – sowas gibt’s doch immer nur bei den anderen. Dank günstiger Breitengrad-Lage ist das für uns verhätschelte Mitteleuropäer noch schön weit weg. Sieht man höchstens im „Weltspiegel“ oder mit XXL-Coke im Kino beim Endzeitmovie. Da bleib ich kühl – kein Gefühl.
Denn nach den unerwarteten Beschränkungen des Frühjahrs freut sich erst mal jeder, den Krisenmodus hinter sich zu lassen. Wir pfeffern den lästigen Mundschutz in die Ecke, setzen eine coole Sonnenbrille auf und wollen trotz der ganzen Spaßbremsen durch einen geilen Sommer chillen. Aber vielleicht merken wir schon bald, dass Sunblocker mit Lichtschutzfaktor 50+ und das kalt gestellte Bier nicht mehr wirklich gegen Sonne und Hitze reichen. Der bisherige Temperaturrekord in Deutschland wurde im Juli 2019 mit 42,6 Grad in Lingen gemessen. Manche mögen’s heiß – aber nur für einen Tag. Wie sieht es denn aus, wenn sich diese Temperatur kontinuierlich über einen längeren Zeitraum hält?
Die Hitze trocknet den Rhein und die Talsperren aus, der Asphalt der Straßen bricht auf, Wasser wird knapp, Waldbrände nehmen zu und können nicht gelöscht werden.
In seinem ersten Thriller hat Wolf Harlander genau das in Szene gesetzt: Die Hitze trocknet den Rhein und die Talsperren aus, der Asphalt der Straßen bricht auf, Wasser wird knapp, Waldbrände nehmen zu und können nicht gelöscht werden. Schon bald spricht niemand mehr von einem perfekten Sommer. Ein Gluthauch weht durchs Land, die Atomkraftwerke gehen vom Netz, und es wird richtig ungemütlich. Jetzt also auch hier. Wie konnte das passieren? Elsa Forsberg, die sich früher mal bei einer militanten Öko-Bewegung engagiert hat und jetzt als Datenanalystin für die europäische Umweltagentur arbeitet, wird zur Recherche nach Deutschland geschickt. Neben Analysen, Hochrechnungen und Notstandsplänen gibt es eine heiße Spur, dass auch die Bösen schon warm gelaufen sind: Eine internationale Terrorzelle verübt Sprengstoffanschläge auf Talsperren, Giftanschläge verknappen die Wasserversorgung, und Versorgungs-Schaltstellen werden durch Cyberattacken ausgeknipst. Will eine ausländische Macht die Situation anheizen, um politische Einflussnahme zu sichern? Zudem tauchen mafiöse Water Lords auf, die mit sauberem Trinkwasser dealen. Mit jedem Tag wird die Lage dramatischer. Wolf Harlander treibt uns mit den sich überschlagenden Ereignissen den Schweiß auf die Stirn: Gebannt fiebern wir mit, wenn Elsa und der Hydrologe Julius Denner verzweifelt versuchen, sich der brandgefährlichen Situation entgegen zu stellen und die Katastrophe doch noch zu stoppen.
Wolf Harlanders glaubhafte Fiktion glüht gedanklich nach
Der 62-jährige Journalist und Autor greift auf gut recherchierte Fakten zurück, die er, und zwar erschreckend plausibel, in apokalyptisch anmutende Zustände hochrechnet. Wir müssen uns wohl daran gewöhnen, dass es zunehmend unbequemer wird. Auch Klimathriller spielen jetzt nicht mehr so weit in der Zukunft, wie wir es gerne hätten. Hoffen wir, dass der Zeitpunkt zum Gegensteuern noch nicht verschwitzt ist. Wolf Harlanders glaubhafte Fiktion glüht gedanklich nach – und sollte möglichst lange nicht real werden, sondern gut gemachte Unterhaltung bleiben. Jeden Tag einen „Brennpunkt“ zum Thema will man ja nun wirklich nicht …