Yasmina Reza: Anne-Marie die Schönheit
Worauf man sich bei Yasmina Reza immer verlassen kann: Ihre Dialoge sind bissig, treffsicher, amüsant.
Worauf man sich bei Yasmina-Reza-Textenja immer verlassen kann: Die Dialoge sind bissig, treffsicher, amüsant. Dass die Dramatikerin in „Anne-Marie die Schönheit“ auf erklärenden Zwischentext gänzlich verzichtet und einen knapp 80 Seiten langen Monolog präsentiert, lässt also Gutes erhoffen. Erzählerin Anne-Marie blickt auf ihr Leben als Schauspielerin zurück, Anlass ist der Tod einer Kollegin namens Giselle Fayolle. Gemeinsam spielten sie einst an einem Pariser Vorstadttheater, und über diese Gigi sagt Anne-Marie: „Ich dachte, sie wäre wichtig, dabei war sie ein Niemand.“ – „[Sie] hatte einen Rattenschwanz von Anbetern, weil sie ihr Herz leicht verschenkte.“ – „Sie griff sämtliche Rollen ab.“
Nach und nach wird klar, dass Gigi alles hatte, wonach Anne-Marie sich sehnte, als sie einst aus der Provinz in die Hauptstadt kam: Schönheit. Erfolg. Reichtum. Männer. Die Erzählerin dagegen blieb stets in der Mittelmäßigkeit verhaftet, und die Verbitterung darüber trieft aus jeder Zeile ihrer Selbstbetrachtung. Doch es ist nicht dieser rückblickende Abgleich mit der Schöneren und Erfolgreichen, diese Neid-Offenbarung, die „Anne-Marie die Schönheit“ auszeichnet. Was Reza wirklich fantastisch gelingt, ist die Marotten des Alters einzufangen: dieses abrupte Springen zwischen den Gedanken; diese Ehrlichkeit, die fast zwangsläufig immer wieder ins Boshafte rutscht; diese Abgeklärtheit und Selbstkritik, gepaart mit einer Milde, die sich in dem Versuch zeigt, das eine oder andere nachträglich zu rechtfertigen.
Am Ende ist es ein bewegtes Leben, auf das Anne-Marie zurückblickt, trotz allem. Für Leser*innen dieser kritischen Bilanz bleibt die Vorfreude auf die Aufführung des Monologs. Eine große Schauspielerin, ganz allein auf der Bühne, die die Worte der gescheiterten Fantasiekollegin an das Publikum richtet: Das kann schön werden. jul
Yasmina Reza Anne-Marie die Schönheit
Hanser, 2019, 80 S., 16 Euro
Aus d. Franz. v. Frank Heibert u. Hinrich Schmidt-Henkel