Alben für die Ewigkeit: Die Pop-Woche im Überblick
Alben für die Ewigkeit: Die Neuerscheinungen dieser Woche strotzen mit IDLES, Sufjan Stevens, Sylvan Esso und A Certain Ratio nur so vor Big Names.
Was für eine Woche! Diesmal gibt es bei den Neuerscheinungen allerlei große Namen mit umso größeren Alben: Die Bristol-Postpunks von IDLES gelingt mit „Ultra Mono“ ihr bisher bestes Album, was nicht zuletzt daran liegt, dass sie sich nicht mit Kritik aufgehalten haben, sondern ihre Erfolgsformel zur Reinform distilliert haben.
Sufjan Stevens macht dagegen nach dem zarten Folkalbum „Carrie & Lowell“ für „The Ascension“ eine jähe Wendung: Statt brüchig-verletzlichen, privaten Songskizzen liefert er diesmal Synthpop und großgestiges, globales Verzweifeln – und wieder ein Album für die Ewigkeit. Darunter reihen sich große Namen wie die Avantfunk-Legenden A Certain Ratio, die sich nach etlichen Jahren für „ACR Loco“ reaktivieren und Sylvan Esso, die mit „Free Love“ die gegenteiligen Ansätze ihrer beiden Mitglieder miteinander vereinen.
Einziger Ausreißer: die Newcomer Panda Lux. Das Schweizer Pendant zu aktuellen Indierock-Größen wie Von Wegen Lisbeth und Bilderbuch boten aber mit hintergründigen Texten und gekonntem Musikertum die Konkurrenz mühelos aus. Die Pop-Alben der Woche:
IDLES: Ultra Mono
Wer IDLES früher für pennälerhafte Slogans wie „This snowflake’s an avalanche“ gehasst hat, den haben die Rising Stars des Punk aus Bristol mittlerweile gänzlich abgeschrieben. Für Nuancen hat das Quintett keine Zeit, dafür sieht die Situation auch zu übel aus: Ob in „Model Village“ die Auswüchse eines erstarkenden Nationalismus in England oder in „Ne touches pas moi“ (mit Jehnny Beth!) Mackertum in der Punkszene – IDLES wüten gegen Missstände und haben sich für ihr drittes Album auf ihre Stärken besonnen: unwiderstehliche Riffs, fetter Sound, klare Freund- und Feindbilder. „Ultra Mono“ ist diese Erfolgsformel in Reinform – und auch mit Abstand ihre bisher beste Platte.
Mit „War“, „Grounds“ und „Mr. Motivator“ schaffen IDLES gleich zu Anfang drei ihrer eingängigsten Songs und verleihen so Parolen wie „Let’s seize the day/all hold hands, chase the pricks away/you can do it/yes you can!“ den nötigen Wumms. Doch wie schon auf dem Vorgänger „Joy as an Act of Resistance“ mit der Überhymne „Colossus“ sind die Highlights auch auf „Ultra Mono“ die sperrigen Postpunk-Stücke, allen voran die Kampferklärung „The Lover“ und das innige „A Hymn“.
Sufjan Stevens: The Ascension
Lassen wir mal die Songs für „Call me by your Name“, die Ballettpartitur „The Decalogue“ und das im Verbund mit seinem Stiefvater veröffentlichte New-Age-Album „Aporia“ außen vor: „The Ascension“ schließt an „Carrie & Lowell“ an – und radikaler hätte sich Sufjan Stevens mit seinem achten Werk wohl kaum von dem fragilen Folkalbum aus dem Jahr 2015 entfernen können. Auf den intimen Schmerz des autobiografischen Vorgängers folgt ein globales Verzweifeln, das Stevens mit der zwölfeinhalbminütigen Vorabsingle „America“ perfekt eingeführt hat.
Auch die übrigen 13 Stücke sind im Kern Synthesizerpop, die es in Sachen Eingängigkeit mit den Genreklassikern aus den 80ern aufnehmen können, dank zeitgemäßer Verfremdung aber über Schmonzigkeit erhaben sind. Der immer forscher pluckernde Opener „Make me an Offer I cannot refuse“ erinnert an den wagemutigen Justin Vernon, „Ursa Major“ und „Gilgamesh“ wenden die Häckseltechnik von James Blake an, und „Death Star“ denkt Radioheads „Idioteque“ weiter. Doch wohin führt Sufjans Kulturpessimismus? Die Texte sind abstrakt genug, um auch religiöse Bilder und esoterische Schwurbeleien auf eine unbedenkliche Weise interpretieren zu können. Zuvorderst fordert der verzweifelte Stevens ja etwas ein, was man ihm für diese Platte einfach zukommen lassen muss: Liebe.
Sylvan Esso: Free Love
Gegensätze ziehen sich an – zumindest bei Amelia Meath und Nick Sanborn. Das Duo vereint nicht nur elektronische Beatspielereien mit tanzbarem Folk, sondern auch ihre jeweilige musikalische Herangehensweise: Sanborn will es geradeaus, Meath mag Höhen und Tiefen. Ein Glück, denn alles andere wäre langweilig und hat den beiden US-Amerikanern schon auf ihrem zweiten Album „What now“ eine Falle gestellt. Das schmierte nach ihrem 2014-Hit „Coffee“ nämlich ziemlich ab, weshalb es uns umso glücklicher macht, dass Sylvan Esso mit „Free Love“ wieder unsere Herzen im Sturm erobern. Das tun sie ganz elegant mit Popsongs, die so leichtfüßig verspielt wie konzentriert komplex sind.
An allen Ecken brummt, dröhnt oder fiept ein Beat, Sanborns Walls of Sound schwellen an und ab, bleiben aber stets im Hintergrund, während Meath ein paar der besten Popsongs des Jahres beschwört. In „Ferris Wheel“ fahren hölzerne Tribals mit Stop-And-Go-Gesang Achterbahn, „Numb“ zeigt vor hektisch flirrender Kulisse eine kalte Popschulter zwischen Suzanne Vega und Sophia Kennedy, und in „Runway“ wetteifern knallende Claps mit furzender Posaunenakustik – ein Song wie ein Flipperspiel. Nichts auf dieser Platte ist erwartbar, aber alles willkommen. Dazu zeigen sich Sylvan Esso als perfekt eingespieltes Kreativpaar – Gegensätze gelungen vereint.
Panda Lux: Fun Fun Fun
Ein bisschen Funk im Bass, seicht schwebende Synths, Schnappschusstexte und generelle Harmlosigkeit: Beim ersten Hören ordnen sich Panda Lux auf ihrem zweiten Album „Fun Fun Fun“ recht gut in die aktuelle deutschsprachige Indieszene ein. Die Schweizer klingen manchmal wie Von Wegen Lisbeth in melancholisch, dann wieder wie Bilderbuch ohne den Swag. Aber beim genaueren Hinhören schälen sich nach und nach langfristigere Qualitäten heraus: Die professionelle Musikausbildung der vier Musiker ermöglicht interessante harmonische Wendungen und allerlei Hintergrundflirren, das den Replay Value der Songs drastisch erhöht.
Die Texte von Sänger Silvan Kuntz stellen sich als doppelbödig heraus – im Opener „Freunde sein“ etwa hat das lyrische Ich die Geliebte zerteilt und bewahrt sie in der Tiefkühltruhe auf. Dieser bittere Humor wirkt dann am besten, wenn Kuntz’ Stimme sich in den Refrains zu übersteuertem Falsett steigert, was zum Glück oft passiert. Selbst für drei Instrumentals ist auf „Fun Fun Fun“ Platz, allesamt dem Synthpop-Pionier Ryuichi Sakamoto gewidmet. Spaßig!
A Certain Ratio: ACR Loco
Obwohl die mittlerweile fünfköpfige Band aus Manchester in zwölf Jahren Studiopause allerhöchstens live aufgetreten ist, haben A Certain Ratio nichts von ihrer eigentümlichen Energie eingebüßt. Die organischen Bandstücke („Friends around us“, „Bouncy bouncy“) gelingen ihnen ebenso wie die synthetischen Proto-Club-Beats („Yo Yo Gi“, „Supafreak“): Der Bass läuft, die Gitarren schmatzen funky, die Kuhglocke dengelt, und das Ganze balanciert prekär auf infektiöser Latin-Perkussion. Wären diese Sounds nicht so gnadenlos übersteuert und wild versatzstückt, könnte man sie beinahe für anachronistisch halten.
Umso gefährlicher wird es, wenn A Certain Ratio einmal den Fuß vom Pedal nehmen, wie für „Always in Love“, einer 80er-Powerpop-Ballade mit verhallter Gitarre, bei der Sänger Jez Kerr mit sich selbst um die Wette schmachtet. Besser gelingt da doch „Berlin“, das denselben balladesken Ansatz in einen unterkühlten Postpunk-Sound einbettet. Die Vielfalt war für A Certain Ratio schon immer das As im Ärmel.