„Time Skiffs“ von Animal Collective: Herz über Kopf
Animal Collective gelten als die intellektuellen Erneuerer des Indie. Doch fragt man Noah Lennox alias Panda Bear, schlägt er für das neue Album „Time Skiffs“ eine andere Perspektive vor.
Noah, ihr seid jetzt seit mehr als 20 Jahren mit Animal Collective aktiv. Ist etwas Außergewöhnliches vorgefallen, als ihr euch an die Arbeit für Album Nummer elf gemacht habt?
Noah Lennox: Durch die Pandemie waren die äußeren Umstände natürlich extrem. Wir waren weit voneinander entfernt, und jeder hat für sich gearbeitet. Immerhin hatten wir vor dem Lockdown noch etwas Zeit, um gemeinsam zu schreiben und an den Arrangements zu feilen. Anderseits war es natürlich auch ein Vorteil, so viel Zeit zu haben wie nie zuvor.
Ich frage, weil „Time Skiffs“ mich ähnlich euphorisiert wie „Strawberry Jam“, euer Meisterwerk aus dem Jahr 2007.
Lennox: Was das klangliche Gefühl betrifft, kann ich da auch eine Verbindung erkennen, vielleicht sogar noch mehr zu „Feels“, dem Album vor „Strawberry Jam“. Aber das ist unbewusst passiert. Ich finde die neue Platte auch sehr traditionell – und das ist ganz sicher ein neues Element.
Was wohl erklärt, warum „Time Skiffs“ trotz aller Innovationen so überraschend eingängig geraten ist.
Lennox: Wenn wir zusammenkommen, ist es immer ein Austarieren: Wie sind die anderen gerade drauf und worüber denken sie nach? Bei „Strawberry Jam“ waren wir in vier verschiedene Richtungen unterwegs, und die Kompromissfindung hat ein spannendes Ergebnis erbracht. Mit „Time Skiffs“ haben wir eher an einem Strang gezogen, und ich persönlich finde das ähnlich aufregend.
Ist es euer bisher emotionalstes Album?
Lennox: Schwer zu sagen, der Vorgänger „Painting with“ war expliziter emotional. Jetzt sind „Strung with everything“ und „Royal and Desire“ sicher auch sehr offen, aber ansonsten liegt der emotionale Kern eher etwas tiefer.
Animal Collective waren in der Vergangenheit immer eine Band, die eher mit dem Hirn als mit dem Herzen gehört wurde.
Lennox: Das stimmt wohl, aber der Zugang zu Musik ist ja nun mal extrem subjektiv. Meine Perspektive ist das nicht, und ich habe für mich mal aufgeschlüsselt, wie Musik zusammengesetzt sein muss, damit ich darauf anspringe: drei Teile Herz, zwei Teile, die das Körperliche oder Sexuelle ansprechen, und ein Teil, der sich an den Verstand richtet. (lacht) In Stein gemeißelt ist das natürlich nicht, aber so in etwa ticke ich.
Wenn ich das auf „Time Skiff“ beziehe, finde ich das Sexuelle in der Rhythmik. Die Platte fängt eine dunkle Zeit ein, setzt mit der Fähigkeit zu Erkenntnis und Veränderung aber auch eine Hoffnung dagegen, die zu Herzen geht. Zudem ist es ein sehr amerikanisches Album, und die gewohnt assoziationsreichen Texte führen mich auch zu Themen wie kulturelle Aneignung und Geschichtsvergessenheit.
Lennox: Die Texte sind tatsächlich alle vor der Pandemie entstanden. Trotzdem fangen sie wohl auch viele Dinge ein, die durch diese Extremsituation noch mal viel offensichtlicher geworden sind. Und tatsächlich haben wir uns während der Entstehung des Albums sehr viel darüber ausgetauscht, wie es sich für uns anfühlt, eine amerikanische Band zu sein.