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Aus Trauer wird Power: „Little Rope“ von Sleater-Kinney

Sleater-Kinney
Sleater-Kinney führen mit „Little Rope“ ihre Pop-Experimente fort. (Chris Hornbecker)

Nach einer persönlichen Tragödie waren Sleater-Kinney am Abgrund. Doch Aufgeben ist für die Riot-Grrrls keine Option.

Sie sind gerade dabei, ein neues Album vorzubereiten, als im Herbst 2022 das Telefon von Corin Tucker klingelt. Am Apparat ist ein Mitarbeiter der amerikanischen Botschaft in Italien, der verzweifelt versucht, Carrie Brownstein zu erreichen – und so ist es an Tucker, ihrer besten Freundin die schlimmstmögliche Nachricht zu überbringen: Brownsteins Mutter und ihr Stiefvater sind während ihres Italienurlaubs bei einem Autounfall ums Leben gekommen. „Es ist in einer solchen Situation nahezu unmöglich, etwas zu sagen, was nicht platt oder nach Kalenderspruch klingt. Du kannst dem anderen nur signalisieren, dass du für ihn da bist und ihn liebst“, erinnert sich Tucker an diesen tragischen Moment. Und es war gut, dass sie gerade mit einem neuen Projekt angefangen hatten. „Carrie wollte sich von dem Schmerz ablenken, und da waren die neuen Songs, in denen wir uns mit dem Älterwerden auseinandersetzen.“

Da ist es kaum verwunderlich, dass die Texte auf dem elften Sleater-Kinney-Album extrem düster sind. „The thing you fear the most will hunt you down“, singt Tucker etwa. Es ist ein Satz, den Brownstein in einem Interview mit einem Friedhofswärter aufgeschnappt hat, – und er erzählt darin von Eltern, die ihre Kinder verloren haben. Doch musikalisch ist „Hunt you down“ mehr Hymne als Trauermarsch, und so eingängig wie bei „Say it like you mean it“ waren Sleater-Kinney in nunmehr drei Jahrzehnten nicht zu hören. Auf „Little Rope“ führen sie die Pop-Experimente weiter, die sie im Jahr 2019 mit „The Center won’t hold“ und Produzentin Annie Clark alias St. Vincent begonnen haben. Zugleich kehren die Protagonistinnen der Riot-Grrrl-Bewegung aber auch zu ihrem Signature-Sound zurück, bei dem sich das Gitarrenspiel von Tucker und Brownstein auf ganz und gar eigene Weise verzahnt.

„Ich bin sehr stolz darauf, dass es uns aus dem persönlichen Schmerz heraus gelungen ist, den Blick auf unsere düstere Gegenwart zu weiten“, fasst Tucker das neue Album zusammen, das es durchaus mit ihrem Klassiker „Dig me out“ aus dem Jahr 1997 aufnehmen kann. Wenn Sleater-Kinney das Thema Verlust verhandeln, geht es mit Blick auf die derzeitigen Rückschläge für den Feminismus und die LGTBQ-Community natürlich zugleich auch um die mit dem Alter schwindenden Kräfte zum Widerstand. „Little Rope“ mag mitunter ernüchternd klingen, doch auch nach 30 Jahren sind Sleater-Kinney noch zur Stelle. Und da ist diese letzte Zeile, mit der die Platte endet: „You built a cage but your measurement’s wrong/I’ll find a way, I’ll pick your lock“.

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