Blood Incantation: „Absolute elsewhere“ – Der Name ist Programm
Mit ihrem dritten Album „Absolute elsewhere“ beweisen Blood Incantation endgültig, dass sie für ihr Genre zu groß geworden sind.
Ist das überhaupt noch Metal? Es liegt mir fern, andeuten zu wollen, dass Metal nur dann anspruchsvoll sein kann, wenn er versucht, sich seinen Wurzeln zu entziehen. Und doch muss diese Frage irgendwo Beachtung finden, wenn man sich inmitten der zweiten 20-minütigen Suite des dritten Blood-Incantation-Albums „Absolute elsewhere“ besinnt und merkt: Irgendwie klingt dieser – ja, was ist das eigentlich? Ein Song? Ein Satz? – wie ein verschollener Pink Floyd-Track aus den 70er-Jahren.
Da ist kein Growling, keine Blast Beats, nicht mal eine verzerrte Gitarre. Stattdessen schwelgt eine einsame Stimme in astralen Höhen, von verhallten Gitarren umhangen, und fragt mit dieser irgendwie hippieesken Melancholie: „Can you hear them? Can you hear them calling your name?“ Und das ist selbst für einen Autor, der auf Hippie-Scheiß und Esoterik eigentlich gut verzichten kann, ziemlich geil. Nicht etwa, weil auf genredefinierende Elemente gänzlich verzichtet wird, sondern weil Blood Incantation auf dem passend betitelten Drittling ihre Einflüsse so geschickt und meisterhaft miteinander verbinden.
Tangerine Dream oder Death Metal? Why not both?
Wer also vom Glauben abgefallen ist, als die Metal-Hoffnung und Kritiker:innen-Darlings aus Denver, Colorado nach den zwei zwar psychedelischen, allerdings deutlich genrekonformeren Alben „Starspawn“ und „Hidden History of the Human Race“ plötzlich ein krautrockverliebtes, rein mit Synthies eingespieltes Instrumentalalbum veröffentlicht haben, sollte mit Bedacht an den Drittling rangehen.
Denn Blood Incantation setzen mehr denn je auf die Fusion aus Tangerine Dream und Death Metal. Ein Versuch, der spektakulär gelingt, nicht zuletzt, weil das Quartett es wagt, die beiden Einflüsse mal radikal nebeneinander zu stellen, vom einen Modus jäh in den anderen zu schalten, um dann die einzelnen Elemente miteinander zu verweben. Über die volle Laufzeit des aus zwei Suites bestehenden „Absolute elsewhere“ schafft es die Band um Paul Riedl irgendwie, von Blast Beats zur Querflöte zu wechseln, ohne dass das den Rahmen ihres Drittlings sprengt.
„Absolute elsewhere“: Der Name ist Programm
Wie also soll man dieser Mischung Herr werden? Wie irgendwie vermitteln, wie es sich anfühlt, dieses Album zu hören? Klar sind da vertraute Momente, die geschickt komponierten Riffs, mit denen sich Blood Incantation auf ihren ersten zwei Alben einen Namen gemacht haben.
Und natürlich werden Fans der Band die astral-verspulten Texte von Frontmann Paul Riedl wiedererkennen, die fernab von Verschwörungsmief oder stumpfer Alien-Fantastik es irgendwie schaffen, gleichzeitig wirklich erleuchtend zu klingen und wie ein Zitat eines Mannes, der seit den 70er-Jahren in einem geairbrushten Van lebt.
Aber da sind eben auch die tuckernden Tangerine-Dream-Synthesizer, die sich unter den kreischenden Gitarren hervorschälen. Da sind diese dissonant-kantigen Gitarren, die mal an Imperial Triumphant erinnern, mal gar an den späten Scott Walker. Da sind Sturzbäche aus düster-schillerndem Fingerpicking und riesige Klangräume aus Gongs und entkernten Trommeln – das ist alles irgendwo im Œuvre von Blood Incantation wiederzufinden, aber noch nie klang der Sound der Band so groß angelegt und ambitioniert wie auf „Absolute elsewhere“.
Der Name und die ambitionierte Promo-Mail, die verkündet, noch nie habe ein Album so geklungen wie dieses, haben Recht. Wenn das genaue Gegenteil dieses Albums, der klassische, an Bolt Thrower und Co. angelegte Throwback-Death Metal der US-amerikanischen Ostküste, von Fans liebevoll „Caveman Metal“ getauft worden ist, so hat die Musik, die Blood Incantation spielt, ein ähnliches Moniker verdient. Ich nominiere „Starman Metal“.