Völlig unbekannt? „Geniale Frauen“ im Bucerius Kunst Forum
Das Bucerius Kunst Forum zeigt „Geniale Frauen. Künstlerinnen und ihre Weggefährten“ – doch keine der Frauen ist bekannt. Wir fragten Kuratorin Dr. Katrin Dyballa und Direktorin Dr. Kathrin Baumstark, was es damit auf sich hat.
Dr. Dyballa, Ihre Ausstellung im Bucerius Kunst Forum zeigt Werke von Künstlerinnen, die zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert gewirkt haben. Weil die Kunstwissenschaft sich allzu lange fast nur für Künstler interessiert hat, erscheinen einem diese Frauen heute paradoxerweise wie Newcomerinnen. Ging Ihnen das auch so?
Dr. Katrin Dyballa: Mir ging es auch so. Von einigen Künstlerinnen hatte ich schon gehört, wie zum Beispiel Rachel Ruysch oder Katharina von Hemessen, die auch bereits in Ausstellungen vertreten waren und deren Werke sich in Sammlungen von Museen befinden. Doch je mehr ich mich mit dem Thema beschäftigt habe, desto mehr neue Begegnungen mit Künstlerinnen tauchten auf. Das hat auch die Freude und den Reiz in der Planung der Ausstellung ausgemacht. Neue Entdeckungen waren für mich zum Beispiel die Malerin Louise Moillon, die Grafierkin Katharina Prestel oder die Bildhauerin Maria Faydherbe. Für die Ausstellung konnten wir nicht alle neu aufgespürten Künstlerinnen versammeln, sondern mussten uns auf 30 beschränken. Doch es gibt noch viel mehr Künstlerinnen in Zukunft zu entdecken.
Bucerius Kunst Forum: „Diese Zusammenstellung und Gegenüberstellung sind einzigartig.“
Welche „neuen“ Blicke und Perspektiven bieten ihre genialen Frauen?
Dyballa: Vorneweg muss man ehrlich sagen, dass es nicht die erste Ausstellung ist, die sich Künstlerinnen widmet. Aber es gibt einige neue Ideen und Aspekte, die die Ausstellung auszeichnen. Zum einen umfasst sie einen recht großen Zeitrahmen von 300 Jahren Kunstgeschichte, vom 16. bis zum 18. Jahrhundert, in dem Malerinnen, Grafikerinnen und eine Bildhauerin vorgestellt werden. Zudem zeigt sie regionenübergreifend Künstlerinnen aus Deutschland, der Schweiz, Italien, Frankreich, der nördlichen und südlichen Niederlange sowie aus Großbritannien. Dies ermöglicht eine Vergleichbarkeit der Kunstproduktion in dieser Zeit und zwischen den Regionen. Darüber hinaus ist vollkommen neu, die Künstlerinnen nicht allein zu präsentieren. Erstmals werden sie den Werken ihrer männlichen Kollegen gegenübergestellt. Es sind ihre Entwicklungen zu beobachten, ab dem Moment der ersten künstlerischen Schritte. Diese Zusammenstellung und Gegenüberstellung sind einzigartig.
Die meisten dieser Künstlerinnen konnten nur malen, weil sie aus einer Künstlerfamilie stammten oder an einem Königshof lebten. Schlug sich das auf Motivwahl und Stil nieder?
Dyballa: Die Frage nach dem Stil ist schwierig. Man muss sich vorstellen, dass die Künstlerinnen wie ihre männlichen Kollegen zu einer bestimmten Zeit ausgebildet wurden. Ausgangspunkt für das künstlerische Schaffen war anfangs, bei Frauen wie bei Männern, eine Nähe zur Ausbildungsstätte. Mit der Zeit entwickelten sie ihren eigenen Stil. Wie ähnlich oder wie eigenständig die Künstlerinnen dann gemalt haben, wird durch die Gegenüberstellung zu ihren Ausbildern sichtbar und deutlich. Bei der Motivwahl gab es in der Zeit die männliche Überzeugung, dass Frauen bestimmte Dinge nicht zugetraut wurden, wie zum Beispiel die Historienmalerei. Es seien eine besondere Anstrengung und ein Geist nötig, über die Frauen nicht verfügten und die den Männern vorbehalten seien. Daher war es schwieriger für Frauen, in der Historienmalerei tätig zu werden. Dennoch gab es Künstlerinnen, wie Michaelina Wautier oder Lavinia Fontana, denen dies gelang. Die Motivwahl hing auch von den Auftraggebern ab. Der Hof oder die Kirche beauftragten beispielsweise auch Frauen mit Historienmalereien, wenn auch seltener als Männer. Dafür mussten die Künstlerinnen nicht dem Hof angehören, wie Michaelina Wautier, die gemeinsam mit ihrem Bruder Charles in Brüssel das Atelier teilte. Die aus Cremona stammende Sofonisba Anguissola wurde am spanischen Hof Hofdame der erst 14-jährigen Elisabeth von Österreich, der Ehefrau von König Philipp II., und auch seiner späteren Gattin Anna von Österreich. Dort war sie vor allem damit betraut Porträts der königlichen Familie zu malen. Rachel Ruysch, die bei Willem van Aelst als Stilllebenmalerin ausgebildet wurde, blieb bei ihrem Sujet, auch während ihrer Zeit als Hofmalerin von Kurfürst Johann Wilhelm von der Pfalz in Düsseldorf. Im Prinzip wurde das Motiv von dem/der Auftraggeber/in bestimmt.
Wichtig ist jedoch auch, auf die gesellschaftlichen Unterschiede in den Regionen hinzuweisen. In Italien war es in Bologna beispielsweise für Lavinia Fontana und Elisabetta Sirani, die die Werkstätten ihrer Väter übernommen hatten, möglich, ganz öffentlich als Malerinnen aufzutreten. Sie wurden in der Gesellschaft gewertschätzt. In Deutschland hingegen waren die Umstände anders. In Zünften und Gilden war es untersagt, Malerinnen aufzunehmen. Daher waren sie gezwungen, andere Nischen zu finden. Katharina Prestel beispielsweise, der es als Frau verboten war, in Öl zu malen, ist auf Papier und Pergament ausgewichten und eher in die Forschung gegangen. Sie hat beobachtet, wie aus Raupen Schmetterlinge wurden, was schließlich in ihrer Expedition nach Surinam gipfelte.
„Die Frauen standen den Männern in nichts nach“
Sie stellen den Werken dieser genialen Frauen die Werke ihrer Väter, Brüder, Ehemänner und Malerkollegen gegenüber. Was kommt dabei heraus?
Dyballa: Die Gegenüberstellung offenbart viele spannende und unterschiedliche Dinge. Man sieht beispielsweise, wie ähnlich Werke von Männern und Frauen sind oder auch wie unterschiedlich. Es lässt sich zudem beobachten, wie die Künstlerinnen ihren eigenen Stil entwickelten oder wie sie in unterschiedlichen Gattungen tätig wurden. Die Frage jedoch, ob Frauen genauso gut gemalt haben wie Männer, kann nach Besuch der klar beantwortet werden: Die Frauen standen den Männern in nichts nach.
Das Bucerius Kunst Forum zeigt dieses Jahr nur Ausstellungen mit Künstlerinnen: Gabriele Münter, Lee Miller, nun Sofonisba Anguissola, Judith Leyster, Marietta Robusti oder Angelika Kauffmann. Wie hat das Publikum diesen Schwerpunkt angenommen?
Dr. Kathrin Baumstark: Mit Gabriele Münter. Menschenbilder konnten wir uns über die bestbesuchte Ausstellung seit Beginn von Corona freuen. Wir haben darüber hinaus sehr positives Feedback von den Besucher:innen erhalten. Die Ausstellung Lee Miller. Fotografin zwischen Krieg und Glamour, zu der zuvor in Deutschland wenig bekannten Fotografin, überrascht uns ebenso mit ihrem Besucher:innenerfolg. Wir freuen uns daher auf unsere große Herbstausstellung „Geniale Frauen“.