„Winter Counts“ von David Heska Wanbli Weiden: Ein Native American kennt viele Schmerzen
Mit seinem Native-Noir „Winter Counts“ vermittelt David Heska Wanbli Weiden anschaulich die indigene Lebensrealität in den Reservaten.
Was man in „Winter Counts“ von David Heska Wanbli Weiden lernt: Der Daumen bricht von allen Fingern am leichtesten. Virgil Wounded Horse zögert nicht, dieses Wissen bei der schmerzvollen Befragung eines Dealers gleich zweimal rigoros anzuwenden. Virgil ist sozusagen der hart zuschlagende Arm des Gesetzes im Rosebud-Reservat in South Dakota. Für hundert Dollar pro gebrochenem Knochen hilft er als privater Vollstrecker der Gerechtigkeit auf die Sprünge, da sich die Cops dort eh kaum blicken lassen und das FBI bei Straftaten unter Native Americans oft desinteressiert ist. Dabei gibt es genügend zu tun, wenn sich die mehrheitlich hoffnungs- und perspektivlosen Lakota aus Frust oder Langeweile mit Alkohol und Drogen zudröhnen und das dann zu enthemmten Gewalttaten führt. Davon profitieren die Pillen-Typen, die ihre Kunden schon in der Schule rekrutieren – und neuerdings auch die Mexikanergang Aztec Kings, welche den Umstieg auf Heroin erleichtern möchte.
Als Virgils vierzehnjähriger Neffe durch eine riskante Aktion in die Fänge dieser Mexikaner gerät, deckt Virgil bei seiner gefährlichen Befreiungsaktion korrupte Machenschaften auf, die bis in die Stammesführung reichen. David Heska Wanbli Weiden lässt in seinem grandiosen Debütroman actionhart Gelenke brechen, Hirn spritzen und Colts rauchen. Zugleich vermittelt er anschaulich die indigene Lebensrealität in den Reservaten: Um trotz der prekären Umstände den Stolz zu bewahren, besinnt man sich auf alte Riten und Traditionen. Zwar steht Virgil als Halbblut einem Heilung versprechenden Yuwipi-Ritual des Medizinmanns skeptisch gegenüber, stellt sich bei seinem Kampf jedoch zunehmend seiner indigenen Identität. Kann er die vier Tugenden der Lakota (Großzügigkeit, Mut, Weisheit, Respekt) befolgen und seinen Feinden wirklich Gnade gewähren? Weidens Native-Noir gibt aber auch ganz andere Anregungen: Sollte man vielleicht mal Tacos mit Kuhkopffüllung oder einen Bisoneintopf probieren?
Mit „Winter Counts“ hat es David Heska Wanbli Weiden auf unsere Liste der besten Krimis im Mai 2022 geschafft.