„Deep Cuts“ von Holly Brickley
Auf wie viele Arten kann man sich das Herz brechen? Holly Brickley antwortet in ihrem Debütroman „Deep Cuts“ mit dem Psychogramm einer komplizierten Beziehung – und mit ganz viel Musik.
Wir werden mitten hinein in die frühen 2000er geworfen: gebrannte CDs, erste Smartphones, MySpace-Profile, Indie-Sleaze-Partys und ein Musikbusiness, das sich im Umbruch befindet. Es ist die Geschichte von Percy und Joey. Zwei Menschen, die unterschiedlicher kaum sein könnten und deren ganze Existenz doch von einem gemeinsamen Nenner bestimmt wird: der Musik. Holly Brickley erzählt in ihrem Debütroman von Freundschaft, Neid, Bewunderung, Liebe und Konkurrenz. Von der Euphorie, mit jemandem auf der gleichen Frequenz zu funken – und vom Schmerz, wenn auf dieser Frequenz plötzlich nur noch Rauschen zu hören ist.
Ein poetischer Blick in die Musikwelt
Percy ist keine Musikerin, denn sie kann weder singen noch ein Instrument spielen. Doch sie hat einen guten Geschmack und lebt einzig und allein für die Musik. Percy erkennt Trends, sie weiß, wie Texte funktionieren, kann Musik verbessern und hört Nuancen, die anderen entgehen. In Joey glaubt sie, ihren Seelenverwandten gefunden zu haben: einen aufstrebenden Musiker, der dringend jemanden braucht, der seine holprigen Texte in Form bringt. Aus Bewunderung wird Nähe, aus Nähe wird Abhängigkeit. Es beginnt ein Spiel aus Anziehung, Zurückweisung und verletztem Stolz. Wir begleiten Percy beim Erwachsenwerden: von den ersten Schwärmereien über journalistische Anfänge bis hin zu der ernüchternden Erkenntnis, was es heißt, eine Frau in der von Männern dominierten Musikindustrie zu sein. Übergriffigkeit, Gatekeeping, fehlende Community – all das schwingt hier mit, wird aber oft nur angedeutet. Die dritte im Bunde ist Zoe. Sie ist scharfzüngig, verletzlich, queer und leider viel zu oft nur Nebendarstellerin, obwohl ihre Geschichte mindestens genauso spannend wäre. Sie ist die Art von Figur, von der man sich eine Spin-off-Novelle wünscht.
Herzen von Sally-Rooney-Fans schlagen höher
Die größte Stärke von „Deep Cuts“ liegt in seiner Form: Das Spiel mit Songtexten, Rezensionen, Blogposts und Tagebucheinträgen gibt der Geschichte eine intime Unmittelbarkeit. Wir sind in Percys Kopf, wir sehen ihre Unsicherheiten, ihre Träume und Selbstkritik. Brickley webt die Musik auf jeder Ebene der Erzählung ein. Percy und Joey reden nicht einfach, sie kommunizieren über Songzeilen, Akkorde, Vier-Viertel-Takte. Missverständnisse sind dabei jedoch vorprogrammiert. Wer eine stringente Story mit klarer Dramaturgie erwartet, wird hier nicht fündig. Brickley setzt weniger auf Handlung, sondern auf Stimmungen, Missverständnisse, Gefühlslagen. Ihr Roman erinnert an Sally Rooneys „Normal People“ – nur eben mit mehr Musik. Das funktioniert hervorragend, wenn man sich darauf einlässt, kann aber auch frustrierend sein, wenn man Percy dabei zusieht, wie sie wieder und wieder falsche Entscheidungen trifft. Stellenweise können Percy und Joey wirklich anstrengend sein, weil Handlung und Dialoge fast komplett in Musikreferenzen versinken. Wer die Songs nicht kennt, muss googeln und sie auf Spotify nachhören. Kennt man sich aber aus, entfaltet sich eine Tiefe, die anders kaum möglich wäre. Für Musik-Nerds ist das Buch ein absoluter Traum. Bei Brickley ist Musik nicht nur Kulisse, sondern zentrales Kommunikationsmittel.
Filmreife Emotionen bald auch im Kino
„Deep Cuts“ zeigt, warum Musik für viele Menschen mehr als nur Sound ist: Sie ist Sprache, Erinnerung, Selbstdefinition. Wer Musik atmet, Sally Rooney liest und Miscommunication-Tropes liebt, wird hier sehr viel für sich finden: eine atmosphärische Zeitreise in die 2000er, eine komplizierte, schmerzhafte, manchmal toxische Beziehung – und eine Liebeserklärung an die Kraft der Musik. Und die beste Nachricht: „Deep Cuts“ wird 2026 verfilmt, mit Saoirse Ronan und Austin Butler in den Hauptrollen. „Deep Cuts“ wird auf der Leinwand noch besser funktionieren, weil die Songs dort nicht nur erwähnt, sondern gehört und erlebt werden können. Am Ende bleibt die Frage, die Zoe stellt: Auf wie viele Arten kann man sich das Herz brechen? „Deep Cuts“ gibt eine musikalische Antwort.