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„Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße“ im Kino: Erinnerungskultur paradox

Charly Hübner ist Micha, „Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße“. Die Tragikomödie von Wolfgang Becker läuft ab sofort im Kino.
Charly Hübner ist Micha, „Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße“. Die Tragikomödie von Wolfgang Becker läuft ab sofort im Kino. (Foto: © X-Verleih AG / Frederic Batier)

In Wolfgang Beckers Film „Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße“ wird der Diskothekenbetreiber Micha im Jahr 2019 von einem Journalisten zum Fluchthelferhelden zu DDR-Zeiten hochgejazzt. Er wehrt sich nicht, denn die neue Rolle bringt neben Ruhm auch Geld. Dann kommt noch die Liebe dazu. Der kurz nach Drehschluss verstorbene Regisseur Wolfgang Becker macht in einer Mischung aus Satire und Drama die Subjektivität der Erinnerung zu einem der vielen Themen dieses Films, der jetzt in den Kinos läuft.

Als Wolfgang Becker diesen Film umsetzte, war ihm schon klar, dass es sein letzter sein Würde, denn Becker war schwer krank. Deshalb stand ihm auch der befreundete Regisseur Achim von Borries („Babylon Berlin“) bereits beim Drehen zur Seite, die Postproduktion machte von Borries dann komplett. Wie achtsam die gesamte Crew beim Drehen des Films mit ihrem Regisseur umging: Davon berichtet Christiane Paul im Interview mit kulturnews. Der Held des Films ist der Schluffi und Kinonerd Micha, kongenial gespielt von Charly Hübner („Mittagsstunde“, „Micha denkt groß“). Im Grunde wird Micha willfähriges Opfer eines Journalisten (Leon Ullrich, „Doppelhaushälfte“, „ZERV – Zeit der Abrechnung“), der ihn zum erfolgreichsten Fluchthelfer der DDR-Geschichte schreibt. Der Chefredakteur setzt sogar noch einen drau und realiviert die nationalsozialistischen Verbrechen, in dem er Micha zum ostdeutschen Oskar Schindler erklärt. Michae tourt durch Talkshows, parliert mit der DDR-Eislauf-Ikone Katharina Witt, wird vom Bundespräsidenten zum Essen eingeladen und soll zum 40. Jahrestag (der Film spielt 2019) des Mauerfalls im Bundestag reden. Doch das alles wäre noch keine Satire, wenn nicht alte, bis dahin von der Öffentlichkeit gehätschelte Dissidenten mehr als nur murrende in die zweite Reihe rücken müssten und wenn alte Stasi-Chefs nicht ihre ganz eigene Meinung zu der ganzen Sache hätten, denn Micha war damals ja wegen des Vorfalls im Stasiknast: Ganz kurz, denn von Widerstand konnte bei ihm nie die Rede gewesen sein. Als die Sache auch finanzell so richtig durchstartet, Micha seine Geschichte als Buch vermarktet, dieses Buch – mit Daniel Brühl in der Hauptrolle! – verfilmt wird und Micha überhaupt zur Werbefigur wird, genau jetzt kommt noch etwas ins Spiel: Paula (Christiane Paul, „Concordia – Tödliche Utopie“) tritt in Michas Leben. Sie wurde damals mit der legendären S-Bahn gemeinsam mit vielen weiteren DDR-Bürgern aus Versehen in den Westen gefahren und blieb als eine der Wenigen wirklich dort – fast alle gingen damals zurück in die DDR. Paula hat zeit ihres Lebens Bindungsprobleme und findet nicht den richtigen Mann, jetzt ist sie auf Micha fixiert, ihren Lebensveränderer von damals, und zwischen beiden funkt es sofort.

„Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße“ funktioniert gleich in mehreren Genres: als Satire auf die Unmöglichkeit, in der Erinnerung an die Vergangenheit als Gesellschaft einen Konsens zu finden; als Liebeskomödie mit klassischem Dramapotential, das in der Lüge – oder harmloser gesagt: im Schwindeln – angesiedelt ist; und mal wieder als Satire auf das gesamte Mediengeschäft und auf den politischen Populismus, auf Auflage, Einschaltquote und Wahlprognosen. Das alles – sein Film „Good Bye Lenin!“ ist Referenz – wird bei Wolfgang Becker nicht etwa mit aggressiver Kritik gezeigt, sondern ist ein Angebot an die unterschiedlichen Lager, mal wieder gemeinsam über einen Film und damit über unterschiedliche Sichtweisen auf die Vergangenheit zu sprechen, ohne gleich in Streit auszubrechen. Wolfgang Becker schickt uns mit Hilfe seines Freundes und Kollegen Achim von Borries dieses Angebot aus dem Jenseits.

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