Die besten Bücher 2022: Empfehlungen für den September
Große Namen eröffnen die Herbstsaison: Die besten Bücher im September 2022 mit Jennifer Egan, Édouard Louis und David Mitchell.
Die Herbstsaison beginnt, und wie gehabt ist kein Monat so umkämpft wie der September: Wer wird unsere Liste der besten Bücher im September 2022 anführen? Eine heiße Anwärterin ist natürlich Pulitzerpreisträgerin Jennifer Egan: Mehr als zehn Jahre nach „Der größere Teil der Welt“ legt sie mit „Candy Haus“ eine Fortsetzung vor, die es mit ihrem großen Durchbruchswerk aufnehmen kann. Auch David Mitchell ist immer für die Spitzenposition gut. In seinem neuesten Roman jagt er eine fiktive Band durch die kunterbunten 60er. Steht also „Utopia Avenue“ auf unserer Liste der besten Bücher im September 2022 ganz oben?
Steht ausgerechnet eine Newcomerin auf unserer Liste der besten Bücher im September 2022 ganz oben?
Womöglich zieht eine Newcomerin an ihm vorbei: „So forsch, so furchtlos“ spielt auf Teneriffa, und Andrea Abreu braucht gerade mal 192 Seiten, um eine unvergessliche Coming-of-Age-Geschichte über pubertäre Sehnsüchte und sexuelles Erwachen zu erzählen. Mit der ungemein spannenden Dystopie „Auf See“ setzt sich Theresia Enzensberger mit neoliberalem Gedankengut auseinander, während Katie Kitamura in „Intimitäten“ die Ambiguitäten unserer Moral ausleuchtet. Und schließlich ist da auch noch ein weiterer autobiografischer Roman von Édouard Louis. „Anleitung ein anderer zu werden“ ist das vielleicht wichtigste Buch über die Identitätssuche – und damit auch die Nummer eins auf unserer Liste der besten Bücher im September 2022?
Die besten Bücher im September 2022
6. David Mitchell: Utopia Avenue
Von Wort zu Wort, Satz zu Satz, Szene zu Szene ist Mitchell noch immer ein Meister des literarischen Flusses. Wie im Vorbeigehen wirft er Sätze hin, für die andere Autor:innen ihre Seele verkaufen würden. Er kann das Alltägliche magisch erscheinen lassen, und das Magische plausibel. Doch wenn er in „Utopia Avenue“ eine fiktive Band durch die kunterbunten 60er jagt, verliert er bei den zahlreichen Referenzen auch ein bisschen den roten Faden. Neben den Bezügen auf seine eigenen Werke gibt er auch dem Hang nach, historische Personen zu Wort kommen zu lassen. Von John Lennon bis Janis Joplin – seine Charaktere treffen sie alle, bis die überbordende Epoche, die Mitchell einfangen will, überschaubar wirkt.
Rowohlt, 2022, 752 S., 26 Euro
Aus d. Engl. v. Volker Oldenburg
5. Andrea Abreu: So forsch, so furchtlos
In „So forsch, so furchtlos“ erzählt Andrea Abreu die Geschichte von zwei etwa zehnjährigen Mädchen auf Teneriffa, die weitab von den Tourist:innen im Norden der Insel aufwachsen. Für die Erzählerin und ihre beste Freundin Isora ist das Strandleben unerreichbar, doch sie kotzen jede Kalorie wieder aus, um vielleicht doch der Tristesse ihres ärmlichen Lebens entfliehen zu können. Abreu nutzt die Poesie des kindlich direkten, oft schonungslosen und grausamen Erzählens, so dass sie gerade mal 192 Seiten braucht, um eine unvergessliche Coming-of-Age-Geschichte über pubertäre Sehnsüchte und sexuelles Erwachen zu erzählen.
Kiepenheuer & Witsch, 2022, 192 S., 20 Euro
Aus d. Span. v. Christiane Quandt
4. Katie Kitamura: Intimitäten
Wie konstituiert Sprache unsere Wirklichkeit? Die US-amerikanische Journalistin und Autorin Katie Kitamura begibt sich mit ihrem neuen Roman „Intimitäten“ in die Welt zwischen den Wörtern. Ihre namenlose Erzählerin ist Dolmetscherin am internationalen Gerichtshof in Den Haag. Sie fremdelt mit der Stadt und soziale Kontakte sind rar. Als sie Adriaan kennenlernt, scheint sich das Blatt zu wenden. Doch dann reist er für ein paar Tage nach Lissabon, um letzte Unklarheiten seiner Noch-Ehe zu regeln. Aus ein paar Tagen wird eine Woche, aus einer Woche ein Monat – und die Erzählerin steckt inzwischen tief in der abgründigen Gerichtsverhandlung eines angeklagten Kriegsverbrechers. Mit präziser Sprache beschreibt Kitamura die Ambiguitäten unserer Moral und leuchtet den schmalen Grad zwischen banal und extrem, Recht und Gerechtigkeit, Begierde und Gewalt aus.
Hanser, 2022, 224 S., 24 Euro
Aus d. Engl. v. Kathrin Razum
Die besten Bücher im September 2022 TOP 3
3. Theresia Enzensberger: Auf See
Ja, „Auf See“ ist eine theorielastige Spiegelung der Gegenwart, doch wer bei der momentanen Flut literarischer Endzeitszenarien womöglich nur ein einziges Mal zuschlägt, sollte diese so immens wichtige Abrechnung mit neoliberalem Gedankengut wählen. Enzensberger erzählt von der 17-jährigen Yada, die in einer Sonderwirtschaftszone auf der Ostsee lebt. Yadas Vater, ein libertärer Tech-Unternehmer, hat die Seestatt als Rettung vor dem Chaos entworfen, in dem die übrige Welt versinkt.
Als Yana entdeckt, dass ihr Vater sie belügt und das elitäre Leben in seiner autarken Stadt auch nur über Ausbeutung funktioniert, entschließt sie sich zur Flucht aufs Festland. Hier lebt auch die Künstlerin Helena, die es mehr oder weniger zufällig zu einer Art Sektenguru gebraucht hat und ein zwar unbedarftes aber eben auch komplett verantwortungsloses Spiel mit ihren Anhänger:innen treibt …
Hanser, 2022, 272 S., 24 Euro
2. Jennifer Egan: Candy Haus
Mit „Der größere Teil der Welt“ hat Jennifer Egan im Jahr 2010 den Pulitzer gewonnen und der internationalen Kritik den Kopf verdreht: postmodern, aber nie prätentiös, bewegend, aber nie kitschig, fantasievoll, aber nie abgehoben. In „Candy Haus“ kehrt sie nun mehr als ein Jahrzehnt später zu denselben Figuren zurück, und zunächst regen sich Zweifel: Warum ein so riskantes Vorhaben, an dem schon Meister wie David Mitchell gescheitert sind? Sind der US-Amerikanerin schlicht die Ideen ausgegangen?
Aber Egans Werk ist auf eine Art ungewöhnlich, die ein Anknüpfen nicht nur verzeihlich, sondern fast logisch wirken lässt. „Der größere Teil der Welt“ besteht aus 13 ursprünglich separat konzipierten Geschichten, die zwar alle miteinander verbunden sind, aber auch allein funktionierten.
S. Fischer, 2022, 416 S., 26 Euro
Aus d. Engl. v. Henning Ahrens
1. Édouard Louis: Anleitung ein anderer zu werden
Am Anfang war „Das Ende von Eddy“: In dem autobiografischen Roman erinnert sich Édouard Louis an seine Kindheit in prekären Verhältnissen. Er thematisiert das Entdecken der eigenen Homosexualität in einem von Rassismus und Homophobie geprägtem Umfeld, die Flucht aus der nordfranzösischen Provinz und das Abstreifen der alten Identität als Intellektueller in Paris. Ein paar Jahre später folgt eine Aussöhnung mit den Eltern: Louis erklärt in „Wer hat meinen Vater umgebracht“ das gefühlskalte Verhalten des Vaters mit Blick auf das französische Sozialsystem. Und wieder ein paar Jahre später ist der inzwischen 29-Jährige komplett zerrissen: „Ich sehne mich nicht nach der Armut zurück, sondern nach der Möglichkeit einer Gegenwart.“
Mit „Anleitung ein anderer zu werden“ erzählt er von den Kosten seiner radikalen Selbstveränderung und von den Extremen, die er immer wieder sucht, um nur nicht von seinem alten Ich eingeholt zu werden: Er hat Sex mit Männern, die in Hotels wohnen, in denen eine einzige Nacht so viel kostet wie das Jahreseinkommen seiner siebenköpfigen Familie. Selbst als erfolgreicher Literat fühlt er sich nicht angekommen: „Bin ich dazu verdammt, mich immer nach einen anderen Leben zu sehen?“ Der neue Louis ist das schonungsloseste und vielleicht wichtigste Buch über die Identitätssuche. Und es ist eines, das fortgeschrieben werden muss.
Aufbau, 2022, 272 S., 24 Euro
Aus d. Franz. v. Sonja Finck