Die besten Musikbücher 2020
Pop, Klassik oder Heavy Metal? Jedes Genre erzählt seine eigene Geschichte. Von Bowie bis Frank Ocean. Hier kommen unsere Top 5 der besten Musikbücher.
John O’Connell: Bowie’s Bücher
Eine Bowie-Autobiografie in Form einer vom Künstler selbst kuratierten Bücherbestenliste: Camus und Kerouac tauchen auf, klar, und Anthony Burgess’ „A Clockwork Orange“ ist Bowies selbsternannter Schlüsselroman. So weit, so vorhersehbar. Dass John O’Connell aus diesem vom Künstler nicht zu knapp durchdramatisierten Referenzrahmen noch sehr viel Spannendes herauszulesen vermag, liegt nicht zuletzt an O’Connells spürbarer Leidenschaft für Bowies Werk. Am spannendsten sind „Bowie’s Bücher“ nämlich da, wo der Autor den erwartbaren Pfad verlässt und sich der Fanboy-Detailanalyse hingibt.
Kiepenheuer & Witsch 2020, 384 S., 16 Euro.
Aus d. Engl. v. Tino Hanekamp
Maria Peters: Die Dirigentin
Maria Peters hat das Leben von Antonia Brico nicht nur verfilmt und dazu das Drehbuch geschrieben, sie hat über Brico auch einen Roman verfasst. Warum aber erzählt Maria Peters die Geschichte, die in den 20er- und 30er-Jahren ihren Anfang nimmt, als historisches Drama nach, anstatt sie ins Jetzt zu versetzen? Schließlich kämpfen ja auch heute viele Frauen in der Klassik um Anerkennung. „Ich habe tatsächlich sehr mit der Entscheidung gerungen, welchen Teil von Antonias Geschichte ich erzählen möchte“, sagt Peters im Interview mit kulturnews. „Sie hat so ein außergewöhnliches Leben geführt. Schließlich habe ich mich für die Zeit entschieden, in der sie den Entschluss gefasst hat, Dirigentin zu werden – obwohl eine Frau in dieser Rolle zu ihrer Zeit noch unerhörter war als heute. Die Frage, ob ich den Roman in der heutigen Zeit erzählen möchte, habe ich mir allerdings nie gestellt.“
Maria Peters im Interview zu „Die Dirigentin“
Hoffmann und Campe, 2020, 336 S., 16,99 Euro
Aus d. Niederl. v. Stefan Wieczorek
Jörg Scheller: Metalmorphosen
Was hat Heavy Metal mit Liberalismus zu tun, warum ist er so wandelbar, und inwiefern ist er eigentlich apolitisch, obwohl er historisch als Bewältigung latenter Ängste im Kalten Krieg oder als Soundtrack zum Albtraum der urbanen Reizüberflutung gelesen werden kann? Das und viel mehr stellt Jörg Scheller heraus in seiner minutiösen musikhistorischen Analyse des Heavy Metal von seiner Entstehung bis in die Gegenwart — gespickt mit theoretischen Impulsanalysen, Interviews und Verweisen auf Parallelentwicklungen etwa im Punk oder im HipHop. Die Analyse ist durchaus erhellend, vor allem, wenn seine Arbeit eine historische bleibt. Wenn sie sich aber ins Politische wendet und die Frage nach Sexismus und Rassismus im Heavy Metal stellt, bleibt das Gefühl nicht aus, dass eine kritischere Perspektive vonnöten gewesen wäre.
Franz Steiner Verlag, 2020, 286 S., 24 Euro
Devid Striesow, Axel Ranisch:
Wo Jörg Schellers Leidenschaft für den Heavy Metal zumeist – wenn auch offensichtlicher – Subtext bleibt, ist Devid Striesows und Axel Ranischs Liebe zur Klassik vom ersten Moment an fester Bestandteil des Texts. Wortwörtlich: „Ich bin ein Klassik-Nerd“ bekennt Axel Ranisch bereits im ersten Satz des vertiefenden Buch-Pendants zum Deutschlandfunk Kultur-Podcast „Klassik drastisch“, den er und Striesow gemeinsam betreiben. Musikanalyse und historische Kontextualisierung bleiben hier zwar nicht außen vor, doch wird die Materie ungleich persönlicher aufgeschlüsselt, der individuelle Zugang zur Klassik gleichwertig beleuchtet mit den Werdegängen großer Komponisten. Das geschieht so beiläufig wie unterhaltsam, dass bestimmt nicht wenige Bisher-noch-nicht-Klassik-Nerds hier den Anfang ihrer neuen Leidenschaft finden.
Ullstein Extra, 2020, 207 S., 20 Euro
Sophie Passmann: Frank Ocean
Sophie Passmann widmet sich dem wohl wichtigsten Album dieses auslaufenden Jahrzehnts. „Fakt ist, dass Frank Ocean die musikalische Begleitung für meine erste große und mit ein bisschen Glück auch letzte große, alles, auch das Leben an sich, infrage stellende Krise war“, schreibt Passmann und erzählt davon, wie sie wochenlang apathisch im Bett liegt und ihr Freiburger Studentenzimmer nur dann und wann für ein manisch durchfeiertes Berlin-Wochenende verlassen kann. „Blonde“ ist der Soundtrack dieser bipolaren Phase, aus der sie sich schließlich mit einer Therapie rauskämpft. „Heute hören sich die Tracks vom Album für mich an wie Kriegsverletzungen, jeder einzelne Song steht für einen Moment des Dramas, des Wachstumsschmerzes, der Heilung“, rekapituliert sie, und vermutlich ist keine noch so schlaue Besprechung dem Meisterwerk von Frank Ocean bislang so nah gekommen.
Kiepenheuer & Witsch 2019, 90 S., 10 Euro