„Die elfte Stunde“ von Salman Rushdie
Nach dem notwendigen, aber trockenen „Knife“ hat Salman Rushdie mit „Die elfte Stunde“ wieder Freude am Fabulieren gefunden.
„Die elfte Stunde“ von Salman Rushdie ist unsere Buchempfehlung der Woche.
Zuletzt hat sich Salman Rushdie in „Knife“ mit der brutalen Messerattacke auseinandergesetzt, die ihn 2022 fast das Leben gekostet hätte. Mit „Die elfte Stunde“ kehrt er nun zur Fiktion zurück, doch die Sterblichkeit beschäftigt ihn weiterhin: In fünf Erzählungen befasst sich der 78-Jährige mit der Endphase des Lebens, in der Menschen Bilanz ziehen und über ihr Vermächtnis nachdenken. Und so unglaublich, teilweise übernatürlich diese Geschichten sind, so schimmert wie so oft doch Rushdies eigene Biografie durch, etwa in den drei Ländern, in denen er sie ansiedelt.
In Chennai kabbeln sich zwei alte Nachbarn täglich, doch als der eine stirbt, bleibt der andere untröstlich zurück („Im Süden“). In Mumbai nutzt eine junge Pianistin ihre magischen Kräfte, um sich aus den Fängen der Familie ihres schwerreichen Ehemanns und ihren Vater aus einem Kult zu retten („Die Musikerin von Kahani“). Und im Cambridge der 70er braucht der Geist eines verstorbenen Dozenten die Hilfe einer indischen Studentin, um eine alte Rechnung zu begleichen („Saumselig“). Mit „Oklahoma“ wird es dann zunehmend postmodern: Rushdie präsentiert die Geschichte als Fragment eines fiktiven Autors, nimmt Kafka, Goya und die Autofiktion mit auf eine verwirrende Reise in die USA, bei der es um die Macht – und die Tücken – des Schreibens geht. Ans Ende setzt er die kurze Fabel „Der alte Mann auf der Piazza“, ein Plädoyer für die Sprache und die Redefreiheit. Womöglich ist es geschmacklos, sich zu freuen, dass Rushdie nach dem notwendigen, aber trockenen „Knife“ wieder Freude am Fabulieren gefunden hat. Oder vielleicht ist es genau in seinem Sinne. Denn einmal mehr erweist er sich hier als ganz großer Geschichtenerzähler, der überbordende Fantasie mit klaren politischen Bezügen zu vermengen mag wie kaum ein zweiter. Ganz offensichtlich ist er sich darüber im Klaren, dass er nicht ewig wird erzählen können. Umso kostbarer sind diese fünf Beispiele seines Könnens.
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