„Die neue Zeit“ auf Arte: Walter Gropius und das Bauhaus Weimar
„Die neue Zeit“ führt uns zurück in die goldenen 20er, als um Walter Gropius’ Bauhaus ideologische Kämpfe entbrannten – ab sofort in der Arte-Mediathek.
Gesellschaftlicher und kultureller Progress entstehen nicht im luftleeren Raum – ganz im Gegenteil: Es braucht einen Raum voll dicker Luft, einen Ort der Auseinandersetzung, einen Platz zum Kämpfen. Als Walter Gropius im Sommer 1919 das Bauhaus in Weimar eröffnet, hatte der damals 36-Jährige eine Vision: Eine zukunftsgewandte Kunstschule, die der piefig konservativen Nachkriegswelt mit Kreativität und Freiheit trotzt. Die sechsteilige Serie Die neue Zeit (ab sofort in der Arte-Mediathek) begibt sich zu den Anfängen des Bauhauses und tastet sich ruhig an den dortigen rebellisch-avantgardistischen Zeitgeist heran. Zwar verzichtet die Serie nicht gänzlich auf romantisierende Bilder, doch die Grundausrichtung der Erzählung ist vor allem eine kritische, bei der die weiblichen Perspektiven den Ton angeben – und sich auch gegen die Großmeister des Bauhauses auflehnen.
„Die neue Zeit“: Ab sofort in der Arte-Mediathek
New York, 1963: Die feministische Journalistin Stine Branderup (Trine Dyrholm) stattet dem nach Amerika emigrierten Walter Gropius (August Diehl) einen Besuch in seinem Luxusapartment ab. Er ist inzwischen über 80 Jahre alt und erhofft sich ein gefälliges, Ego-streichelndes Interview – doch er wird enttäuscht. Ohne viel Vorgeplänkel konfrontiert Branderup Gropius mit dem Vorwurf, seine Machtposition als Leiter des Bauhauses ausgenutzt zu haben, um so mit der jungen Studentin Dörte Helm (Anna Maria Mühe) schlafen zu können. Im folgenden Hin und Her sezieren beide die Geschichte der altehrwürdigen Kunstschule.
Dörte Helm gehört zu den ersten Student:innen am Bauhaus. Sie ist durch und durch bürgerlich sozialisiert, und ihrem konservativen Vater stinkt die ganze Angeleinheit mit dem Kunststudium. Schnell findet Dörte in Gunta Stölzl (Valerie Pachner) und Marcel Breuer (Ludwig Trepte) gute Freunde. Stück für Stück lässt sie ihr altes Ich zurück, und durch Begegnungen mit großen avantgardistischen Künstler:innen wie Wassily Kandinsky, Paul Klee, Laszlo Moholy-Nagy oder Else Lasker-Schüler öffnet sich ihr allmählich die intellektuelle Welt der neuen Kreativen. Selbst der humorbefreite Meister Johannes Itten (Sven Schelker) nimmt sie nach anfänglichen Bedenken unter seine Fittiche. Sie wird zu einer Musterstudentin, die auch die Aufmerksamkeit von Walter Gropius auf sich zieht, dessen Ehe mit der Komponistin Alma Mahler (Birgit Minichmayr) nur noch auf Hass und Alkohol beruht.
Die neue Zeit nähert sich ausgesprochen authentisch dem lebendigen Gefühl des Aufbruchs und der Freiheit, das in den goldenen 1920er-Jahren an Orten wie dem Bauhaus geherrscht haben muss. Es braucht nur wenige Szenen, und die Zuschauer:innen sind mitten im Schulalltag zwischen Holzwerkstatt, Zeichensaal und umherlaufenden Aktmodellen. Das Echte, das der Serie innewohnt, ist nicht zuletzt dem durchweg guten Schauspiel und der historisch genauen Requisite geschuldet, an der 40 Menschen mitgearbeitet und Original-Kostüme und -Möbel, wie zum Beispiel den „Afrikanischen Stuhl“, nachgebaut haben.
Der Einblick in das Leben der Studierenden zwischen hedonistischen Partys, Sex, Exzess und dem harten, künstlerischen sowie handwerklichen Alltag, gespickt von ausgeklügelten Lehr- und Lernmethoden, ist faszinierend. Wirklich lehrreich – um im Bild der Lernanstalt zu bleiben – wird es jedoch in den Momenten zwischen alldem: In den ideologischen Kämpfen, die das Bauhaus gegen die alten bürgerlichen Institutionen und den städtischen Bürgerausschuss austrägt. Wobei sich offenbart, dass patriarchale Unterdrückungsmechanismen und exkludierende Praktiken auch nicht vor einem intellektuellen Tempel wie dem Bauhaus Halt machen. Somit bekommt auch Johannes Itten, ein künstlerischer Vordenker und der Begründer der Sieben-Farbkontrast-Lehre, sein Fett weg, als er beginnt, die religiöse Rassenlehre der Mazdaznan an der Schule zu verbreiten. Die Serie beweist, dass selbst ein progressiver Ort des kulturellen Fortschritts ein internes Regulativ benötigt.