Dietmar Schwarz: „Jede neue Entwicklung hat erstmal etwas Positives!“
Der Spielbetrieb aller Bühnen ist eingestellt, Gemeinsamkeit vor Ort nicht möglich. Dietmar Schwarz, Intendant der Deutschen Oper Berlin, blickt auf das Positive in der Krise.
Herr Schwarz, durch die Krise bleiben Opern und Theaterhäuser vorerst verschlossen, sämtliche Aufführungen verschieben sich, und es ist unklar, wie es weitergeht. Wie ist die Stimmung bei Ihnen im Haus?
Dietmar Schwarz: Noch ist die Stimmung verständnisvoll. Die Schwierigkeit liegt darin, dass man nicht weiß, wann der Betrieb wieder losgeht. Das wird nicht von heut auf morgen gehen, sondern langsam. Erst der kleinere Probenbetrieb, dann der größere mit Orchester und Chor, und erst dann die Vorstellungen. Die Disziplin, die ja in der Bevölkerung sehr gut ist, wird wahrscheinlich irgendwann mal bröckeln. Und bei uns Künstlern ist natürlich das wirkliche Problem, dass unser Kerngeschäft das gemeinsame Musizieren ist und große Opern auf der Bühne zu zeigen.
Regt der Drang, aktiv zu werden, und die Ungewissheit, wie es weitergeht, zu neuen digitalen Ideen an?
Dietmar Schwarz: Viele Ideen sind sehr spannend und das wird uns auch für die Zukunft bleiben. Aber das gemeinsame Musizieren über digitale Plattformen bietet nicht das emotionale Klangerlebnis, für das uns die Menschen besuchen. Wir sind eine Kunstform des Analogen. Mit digitalen Mitteln kann man das, was das Spezifische der Oper ausmacht, nicht ersetzen – das finde ich positiv! Neue Kommunikationsmittel, die wir jetzt in dieser Krise erproben, dienen dazu, die Menschen auf unterschiedliche fantasievolle Weise auf das, was wir machen, aufmerksam zu machen.
Liegt darin die Chance, Menschen anzusprechen, die bislang weniger mit der Oper zu tun hatten?
Dietmar Schwarz: Auf alle Fälle werden wir durch die digitale Kommunikation andere Gruppen erreichen. Wir haben zum Beispiel die Instagram-Aktion peopleattheopera erstellt, bei dem sich vor allem jüngere Menschen fotografieren und zeigen, was sie tragen, wenn sie in der Oper sind. Früher hat man das als oberflächlich bezeichnet und gesagt: „Es ist doch egal, wie man als Zuschauer angezogen ist.“ Heute hat sich bei der jungen Generation etwas verändert, man kann sagen: „Ich bereite mich auf die Oper vor, ich ziehe mir dieses Kleid an und schaffe damit einen Bezug zu dem, was ich als Gesamterlebnis erwarte.“ Ich finde das inspirierend und sehe darin für andere junge Menschen einen Anreiz für den Opern-Besuch. Im Vergleich zu meiner Generation, wo man stolz darauf war, in Jeans in die Oper zu gehen, weil man die Spießer damit provoziert hat, ist die Situation heute ganz anders. Jede neue Entwicklung hat erstmal etwas Positives, und da wird sich sicherlich auch jetzt in dieser Krise einiges tun.
Sie zeigen täglich Produktionen im Stream als Video on Demand. Wie sind die Reaktionen von den Zuschauer*innen?
Dietmar Schwarz: Die Reaktionen in den sozialen Medien, aber auch die ganz konventionellen Anrufe bei uns im Marketing sind sehr positiv. Als wir gleich am Anfang unsere Kinderoper „Die Schneekönigin“ eine Woche lang als Stream bereitgestellt haben, kam das unglaublich gut an. Für viele war das eine schöne Idee, wie man seine Kinder zu Hause eine Stunde lang sinnvoll beschäftigen oder für Entspannung nach den Hausaufgaben sorgen kann. Ein großer Vorteil ist natürlich auch, dass man historische Aufnahmen online anbieten kann. Wir haben in den letzten Tagen die Aufführung „Fidelio“ mit Christa Ludwig von 1963 gezeigt. Die Bild-Ton-Qualität ist, auch in dieser Zeit, bereits erstaunlich gut.
Inwiefern wird die Corona-Krise die Zukunft des Hauses verändern? Was wird anders laufen, was nicht?
Dietmar Schwarz: Wir sind tatsächlich in einer Situation, nach der es nicht mehr einfach so weitergehen wird wie geplant. Das kann positive wie negative Folgen haben. Natürlich ist jetzt erstmal der ganze Spielplan in Frage gestellt. Zwei Premieren haben wir bereits verschoben, die werden wir irgendwann definitiv auf die Bühne bringen, aber wann ist nicht klar. Ein anderer Aspekt ist der, dass gerade die Gemeinsamkeit, etwas wie Theater, Oper, Kino oder Lesungen zu erleben, noch mehr wertgeschätzt werden wird. Die Menschen erfahren ganz persönlich, welchen geistigen und körperlichen Mehrwert die Gemeinsamkeit für das individuelle Befinden hat. In diese Richtung zu kommunizieren wird sicherlich auch unser Publikum direkt ansprechen.
Interview: Janka Burtzlaff