„Frauen im Sanatorium“ von Anna Prizkau

Was beabsichtigt Anna Prizkau, wenn sie in „Frauen im Sanatorium“ womöglich nur erfundene biografische Erzählungen mit zerrissenen Gedanken und Gewaltfantasien kombiniert?
Anna Prizkau schreibt in ihrem Debütroman „Frauen im Sanatorium“ über das alltägliche Leben im Sanatorium und erschafft Figuren, von denen eine undurchschaubarer ist als die andere. Nach der „Sache“ wurde Anna in das Sanatorium eingewiesen und trifft dort auf andere Menschen, die ihr persönliche Geschichten anvertrauen – oder diese frei erfinden?
Feste Anhaltspunkte gibt es kaum – abgesehen von zwei unausgesprochenen Regeln unter den Bewohner:innen: Es ist verboten, nach dem Grund des Aufenthalts zu fragen. Und: der zuständige Doktor Fauner ist mit seinem ständigen „ich verstehe“ nicht ernst zu nehmen.
„Mit meinen Augen sagte ich jetzt David, dass ich ihn schlagen wollte.“
Im Sanatorium begegnet Anna verschiedensten Personen: Da ist die Soldatin Katharina, die Rotwein mit Wodka mischt. Marija, die ständig Monologe und Lobgesänge über ihr eigenes Leben führt. Elif, die Anna ein Buch voller Halbwahrheiten hinterlässt – und ihr rät, sich in den schizophrenen David zu verlieben. Anna folgt diesem Rat und entwickelt Gefühle für David – oder täuscht sie dies allen, inklusive sich selbst, nur vor?
„Wir lächelten. Wir hielten uns – und spielten Liebe. (…) Als David das Wort ,Liebe‘ aussprach, ließ ich, ohne dass ich es wollte, seine Hand los.“
Die Verwirrung findet ihren Höhepunkt in der unzuverlässigen Protagonistin Anna selbst: Anna hat Erinnerungslücken, nimmt ihre Tabletten nicht und die impulsiven Gedanken sind immer wieder von brutalen Gewaltfantasien durchzogen. Im Gegensatz zu den anderen öffnet sie sich niemandem – außer Pepik, dem Flamingo am See des Klinikparks. Er ist der einzige, dem Anna ihre Erinnerungen und Gefühle anvertraut und auch den Leser:innen bietet diese schwer greifbare Erzählerin wenig Halt.
„Sie traten fest zu, fast im Takt. Es fehlte nur Musik, dann wäre es perfekt gewesen. Denn die Geräusche, die Davids Körper, auf den die Füße trafen, machte, waren hohl und hässlich. Ich wippte trotzdem mit dem Kopf im Takt der Tritte.“
Anna Prizkau hat einen Roman geschrieben, der voller Leichtigkeit und Humor steckt – jedoch gleichzeitig schonungslos brutal und tragisch ist. Er lässt uns verwirrt und verzweifelt auf der Suche nach Wahrheit zurück, und genau diese Undurchschaubarkeit macht Prizkaus Debüt so besonders. Ihr Schreibstil ist geprägt von Wortneuerschöpfungen und bizarren Beschreibungen – und passt damit perfekt zu den zerrissenen Gedanken und Wahrnehmungen ihrer gleichnamigen Protagonistin Anna.