„Gym“ von Verena Keßler

Bauch, Beine, Oh: In „Gym“ von Verena Keßler treibt es eine junge Frau hinter den Tresen eines Fitnessstudios – und ganz bald auch in den Wahnsinn.
„Gym“ von Verena Keßler ist unsere Buchempfehlung der Woche.
Was früher noch das Fitnessstudio war, ist heute das Gym. Aus einem sperrig-technischen Begriff wurde die Behauptung gelungenen Lebens: ein Lifestyle. Und genau daran scheitert beinahe das Vorstellungsgespräch der Protagonistin in Verena Keßlers neuem Roman. „Sein Team, das müsse diesen Ort gewissermaßen, nun ja, auch verkörpern, also Fitness und Wellness und Gesundheit und all das auch selbst ausstrahlen“, erklärt ihr Ferhat, der Besitzer des Mega-Gym. Mit anderen Worten: Du bist zu viel Erdnussflipbauch und zu wenig Pfirsicharsch. Den Job als Tresenkraft bekommt die Ich-Erzählerin trotzdem, dank der Lüge, sie habe gerade erst entbunden – immerhin ist Ferhat selbsternannter Feminist. Wie temporeich und pointiert die Leipziger Autorin dieses Doppelleben zwischen angeblich abgepumpter Muttermilch und gemixten Proteinshakes mit so klangvollen Namen wie Muscle-Hustle oder Sixpack on the Beach beschreibt, ist herausragend und zunächst noch urkomisch.
Hätte dieser Roman vor zehn Jahren noch als entlarvender Text neoliberaler Optimierung gegolten, sind wir – und Keßler sowieso – längst schlauer. Sport zu machen bedeutet nicht gleich, die FDP zu wählen, und wer schon einmal in der Nähe eines Gyms gewesen ist, wird wissen, dass dieser Roman keine intellektuelle Häme einer Elfenbeinturm-Schriftstellerin ist. Nein: Es ist mindestens genauso grotesk, wie es Keßler skizziert. Entgrenzter Ehrgeiz und völlige Vereinzelung spielen nebst MeToo-Themen natürlich trotzdem eine zentrale Rolle in Keßlers Buch. So schlittert ihre Protagonistin allmählich in eine Obsession, die sie, wie wir später erfahren, bereits den letzten, sehr gut bezahlten Bürojob gekostet hat. Aus Essen wird Proteinzufuhr, aus Fett wird Muskel, aus Spaß wird Ernst. Bis sie schließlich auf einer Überdosis Steroiden die Affektkontrolle verliert. „Sie alle waren hier, um irgendwo dazuzugehören. Um etwas zu werden, das es schon gab“, stellt die Ich-Erzählerin mit einer jovialen Überheblichkeit fest, während sie schon längst dem Individualisierungswahn verfallen ist und wir sie kaum noch als die sympathische Identifikationsfigur aus dem Vorstellungsgespräch wiedererkennen, sondern nur noch staunend danebenstehen.
Mit „Gym“ hat es Verena Keßler auf unsere Liste der besten Bücher im September 2025 geschafft.