„Herrhausen – Der Herr des Geldes“ in der ARD ist (fast) brillant
Der Mehrteiler erzählt ein packendes Kapitel deutscher Politik- und Wirschaftsgeschichte auf spannende und anspruchsvolle Weise.
Heute anlässlich des Tages der deutschen Einheit in der ARD und auch in der ARD-Mediathek zu finden: Die vierteilige Miniserie läuft als Zweiteiler im Fernsehen. „Herrhausen – Der Herr des Geldes“ über Alfred Herrhausen, den Vorstandssprecher der Deutschen Bank, der 1989 durch ein Bombenattentat ermordet wurde. Die RAF reklamierte die Tat für sich, die Täter wurden aber nie ermittelt. Oliver Masucci spielt die Hauptrolle, Regie führte Pia Strietmann („Tatort“), das preisgekrönte Drehbuch schrieb Thomas Wendrich (Drehbuch zu „Lieber Thomas“, mehrfacher Gewinner des Deutschen Filmpreises 2022).
„Stillstand ist der Tod“, findet Alfred Herrhausen (Oliver Masucci, „Eine Billion Dollar“). Und so lebt und arbeitet der Bankmanager auch. Mit seinem Vorschlag, den ärmsten Ländern ihre Schulden zu erlassen, bringt er die ganze Bankenwelt gegen sich auf, und die Politik auch, vor allem die US-amerikanische. „Es geht nicht um Schulden, es geht um Gestaltung der Zukunft“, begründet Herrhausen seinen Ansatz, der später auch umgesetzt wurde. Den schwarzen Freitag 1987 sieht er auch aufgrund der finanziellen Lage von Ländern wie Mexiko kommen, das verschafft ihm wiederum Anerkennung auch im Ausland. Als einer der Ersten versteht Herrhausen, welche gigantischen Umwälzungen Ende der 1980er-Jahre im Osten und in Europa bevorstehen, weiß um die leeren Staatskassen der Sowjetunion und berät Kanzler Helmut Kohl (Sascha Nathan), der möglichst schnell die deutschen Einheit will. Nachdem Herrhausen den Russen einen Kredit gewährt, alarmiert das den CIA, der genau wie die Stasi, der KGB und der Verfassungsschutz Herrhausen observiert und abhört.
Und nicht nur das: Auch die RAF, für die Herrhausen einer der schlimmsten Köpfe des faschistischen Kapitalismus ist, hat ihn auf seiner Todesliste. Parallel verhandelt ein deutscher Geheimdienstmann (Cornelius Obonya) mit einem in die Anschlagspläne verwickelten RAF-Leute über seinen Ausstieg. Herrhausen weiß um die Gefahr, in der er in seiner exponierten Position schwebt, lässt sich aber nicht aufhalten, er kann gar nicht anders als vorwärts gehen. Ein Brief in seinem Nachttisch sagt: Man möge im Falle seiner Entführung nicht verhandeln … Stasi-Chef Erich Mielke und selbst die anderen Vorstandsmitglieder der Deutsche Bank raunen wegen des umtriebigen Herrhausen irgendwann zynisch: „Wo ist die RAF, wenn man sie mal braucht?“ Keine Bange, sie wird kommen … Herrhausens Ehefrau Traudl (hätte mehr Raum verdient: Julia Koschitz, „Am Anschlag– Die Macht der Kränkung“) sieht all dies mit großer Sorge, steht ihrem Mann aber in allem bei, auch wenn dieser praktisch nie zu Hause ist. Je mehr der Eiserne Vorhang fällt und die Mauer bröckelt, desto mehr wird Herrhausen einer der wichtigsten politisch-wirtschaftlichen Player – und desto größer wird die Gefahr, in der er schwebt. Immer wieder plagen Albträume von Anschlägen den Bankmann, immer wieder singen die Talking Heads „Road to nowhere“, wenn Herrhausens Wagenkolonne durch die Straßen Frankfurts düst oder er in der Welt herumreist – der Master of the Universe weiß eigentlich selber nicht genau, wohin sein Handeln ihn führen wird. Ahnt er es?
„Herrhausen“ in der ARD: Helmut Kohl steuern und von ihm gesteuert werden
Doch nicht nur politisch-wirtschaftlich prescht der bald alleinige Vorstandssprecher voran, auch die Deutsche Bank wälzt er im Eiltempo um. „Nur weil manche Banken ihre Hausaufgaben nicht machen, müssen wir doch nicht unser Denken einstellen“, sagt er den Vorstandskollegen. De-Regionalisierung, Zentralisierung, Digitalisierung, die erste Frau im Vorstand (Bettina Stucky als Ellen Schneider-Lenné), Investmentbanking, Aufkäufe anderer Banken – die Deutsche Bank muss neu aufgestellt werden für die Zeitenwende, die kommt. Herrhausen setzt sich durch, gegen seinen Mentor Christians (August Zirner), gegen seine größten Konkurrenten und Kritiker von Grofen (Thomas Loibl, „Unschuldig – Der Fall Julia B.“). Herrhausen setzt dem Vorstand mehrmals die Pistole auf die Brust: Wollen Sie Teil der Zukunft sein oder zurückbleiben im globalen Business? Herrhausens Wissen um die politischen Zusammenhänge verschafft ihm immer wieder überzeugende Argumente für die radikalen Umstrukturierungen, die aufgrund der rasanten Kernschmelze der osteuropäischen Länder und der Sowjetunion nicht warten können. Herrhausen will die Märkte der Zukunft als Erster erschließen, Deutschland soll in Europa die führende Rolle der Ära nach dem Kalten Krieg einnehmen, die Weltordnung verschiebt sich. Auf dem Weg nimmt er nur diejenigen mit, die sich überzeugen lassen – über seinen Duz-Freund Kohl, der Herrhausen braucht, aber seine eigene politische Agenda verfolgt, sagt er einmal: „Kann er nicht einfach mal machen, was man ihm sagt?“
Doch das tut Kohl nicht, im Gegenteil. Nach dem Fall der Mauer stellen die Franzosen für die Einheit die Bedingung der Aufgabe der D-Mark und der Einführung einer gesamteuropäischen Währung. Kohl will diese Bedingung annehmen, aber selbst Herrhausen geht das alles zu schnell: „Es geht um Umstrukturierungspläne für Europa“, erklärt er. Er sieht die osteuropäischen Ländern durch überstürztes Handeln gefährdet in ihrer politischen und wirtschaftlichen Entwicklung. Bei einer vorschnellen gemeinsamen Währung koche doch jedes Land sein eigenes Süppchen, mahnt Herrhausen und fragt auch: „Wer soll das denn bezahlen? “. Aber vergeblich, denn Kohl macht, wie er will, denn er will unbedingt der Kanzler der Einheit sein – und hat dadurch wahrscheinlich viele der Probleme verursacht, mit denen wir heute in Ostdeutschland, in der EU und in Europa kämpfen.
„Herrhausen“ in der ARD: Eine fast brillante Sache
Machen wir es kurz: „Herrhausen – Der Herr des Geldes“ in der ARD ist das Beste, was es seit langer Zeit an fiktionalisierter Zeitgeschichte zu sehen gab. Sie ist außerordenlich gut und pointiert geschrieben und gespielt, dicht und atmosphärisch inszeniert, dabei auch manchmal witzig und immer relevant. Gerade in diesen Zeiten, in denen Politiker wieder Ziel von extremistischen Aggressionen sind; man erinnere nur an den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübke, der 2019 von einem Rechtsextremen ermordet wurde. Oder an die Übergriffe gegen Grünen-Politiker im Zuge der Bauernproteste 2023.
Warum gibt es dennoch was zu meckern?
Das teils hektischen Hin- und Hergespringe zwischen Herrhausens Geschichte und den RAF-Leuten, die mit der Verbiestertheit von erfolglosen Letzte-Generation-Aktivisten auf ihren nächsten Autrag warten und schließlich die Bombe installieren, die Herrhausen töten wird, hätten wir nicht in der Häufigkeit gebraucht.Diese Szenen fallen in Regie und Worten auch merklich ab gegenüber dem Rest, man möchte bald schon zurück zu Herrhausens Story
Die Serie wäre noch dichter und packender, wenn sie nicht dauernd Terrorcamps im Libanon und die deutschen Unterschlüpfe der RAF-Terroristen abschweifen würde, die als Figuren allesamt blass bleiben, bis auf einen, der mit einem Veteranen vom Verfassungschutz über seinen Ausstieg verhandelt. Anstatt der RAF-Szenen hätte man sich insgesamt längere Dialogszene gewünscht, noch mehr Eintauchen in ein Psychogramm Herrhausens, ein Psychogramm der Macht („Macht muss man wollen,“ sagt der Protagonist) und in die politisch-wirtschaftlichen Zusammenhänge zu der Zeit. Weniger Betonung auf dem „Thriller“ in „Politthriller“ und mehr auf dem „Polit“ wäre gut. Das hätte die Serie zum Meisterwerk gemacht. So ist es aber auch verdammt gute, anspruchsvolle TV- und Mediathekenunterhaltung.
Oliver Masucci, der schon Adolf Hitler („Er ist wieder da“) und Rainer Werner Fassbinder („Enfant terrible“) gespielt hat, ergreift die Vielschichtigkeit der Rolle Herrhausens mit beiden Händen. Er verkörpert Herrhausen als einen unerbittlich vorangehenden Mann, der kein Links- und-rechts-gucken kennt, charmant, wortgewandt, visionär, rücksichtslos. Mal sagt er Dinge wie „In einer endlichen Welt gibt es kein unendliches Wachstum“ oder „Die Sucht nach schnellem Geld hat bewährte Strukturen geschwächt“, und dann führt er das Investmentbanking ein, das 30 Jahre später in seiner exzessivsten Form zur Weltwirtschaftskrise führen wird. Für Masuscci war Herrhausen ein konservativer Rebell, wie er sagte. Masuccis Herrhausen orchestriert die Zukunft, rennradelt sogar seinen Personenschützer davon, verhandelt und diskutiert Weltgeschichte mit Kohl, Genscher, Gorbatschow und Kissinger und schaut jeden, gegen er aufgrund seiner Lebens- und Arbeitsgeschwindigkeit barsch war, mit traurig-verdutzten Augen an. Seinen treuen, hart arbeitenden Assistenten Wasner (großartig: David Schütter, „Barbaren“), den er des Öfteren wie einen Deppen stehenlässt, weil er, Herrhausen, nun einmal in überirdischen Weltgefüge operiert und, der, Wasner nur am schnöden Boden, spricht er ganz zum Schluss, beim Abschied, das erste Mal mit dessen Vornamen an: Thomas. Es ist die größte Zärtlichkeit, zu der ein Mann wie Alfred Herrhausen fähig ist, und Masucci und Schütter spielen das wunderbar aus.
Wer hat Alfred Herrhausen ermordet?
„Nach einer wahren geschichte. Soweit Geschichte wahr sein kann“, steht im Vorspann von „Herrhausen – Der Herr des Geldes“ in der ARD. Damit spielen die Macher an auf die bis heute unklare Täterschaft des Mordes an Herrhausen. Die Serie entwickelt ihr eigenes, spekulatives Szenario: Die RAF hat den Anschlag ausgeführt, die Bombe kam von der Palästinensischen Befreiungsfront (PFLP), die Stasi hat logistisch und finanziell geholfen, der CIA hat unfreiwillig unterstützt oder gar weggeschaut. Letztlich war Herrhausen eingekreist, so die Macher. Er hatte keine Chance. Und wenn am Ende dann das Unvermeidliche passiert, mag man gar nicht hinschauen. Tatsächlich ist einem Masuccis Herrhausen ans Herz gewachsen, wenn es auch ein konstruierter Herrhausen ist, ein positiv gezeichneter Herrhausen, der mit dem realen Herrhausen wenig gemein haben dürfte. Es zeigt nur noch einmal, wie gut diese Miniserie funktioniert.
Und eine paar der wichtigsten Worte von Alfred Herrhausen, diesem ungewöhnlichen Turbokapitalisten, der sogar mit No-Future-Aktivisten im intensiven Dialog war, führt sie uns auch noch einmal vor Augen: „Wir müssen sagen, was wir denken, und tun, was wir sagen. Und dann müssen wir auch sein, was wir tun.“ Worte, so zeitlos wie dringlich aktuell.