„Hundertdreizehn“ im Ersten: Mehr als nur eine Katastrophe

Ein Bus durchbricht kurz vor einem Autobahntunnel die Leitplanke und verursacht auf der Gegenfahrbahn eine Katastrophe. Warum? Die Serie „Hundertdreizehn“ läuft jetzt in der ARD und kann in der ARD-Mediathek gestreamt werden.
Warum fährt ein bisher unfallfreier Busfahrer auf der Autobahn kurz vor einem Tunnel mit höchster Geschwindigkeit durch die Leitplanke auf die Gegenfahrbahn und verursacht im Tunnel einen unglaublichen Unfall mit -zig Toten? In einem Schlachtfeld voller Blech, Stahl und Menschenkörpern suchen Anne Goldmundt und Jan Auschra nach der Wahrheit. Die Serie „Hundertdreizehn“ läuft jetzt im Ersten und kann in der ARD-Mediathek gestreamt werden.
Hundertdreizehn Menschen sind betroffen, wenn eine Person bei einem Unfall oder Verbrechen zu Tote kommt, sagt die Statistik. Die Macher der Serie „Hundertdreizehn“ – Regiesseur Rick Ostermann („Das Haus“, „Der Gejagte – Im Netz der Camorra“) und Drehbuchautor Arndt Stüwe („Im Abgrund“) haben diese Statistik in einem Drama mit vielen thrillerartigen Momenten, aber auch mit viel psychologischem Tiefgang zum Leben erweckt. Dass die Geschichte dann auch noch hervorragend erzählt wird, liegt am hervorragenden Schauspiel aller Beteiligten, allen voran Lia von Blarer („Kafka“, „Eldorado KaDeWe“) in der Rolle der Ermittlerin Anne Goldmundt und Robert Stadlober („Führer und Verführer“, „Andrea lässt sich scheiden“) als Ermittler Jan Auschra. Sie bauen in einer rieseigen Lagerhalle nicht nur den Bus auf, sondern viele zerstörte Autos rundherum sowie mit Kreide aufgezeichnet die Fundorte von Leichen, die es auf die Straße geschleudert hat. Hat Theo Gradtke erweiterten Suizid gegangen, weil kurz zuvor eine seiner beiden Töchter entdeckte, dass er ein Doppelleben führt und sowohl in Deutschland als auch in Österreich eine Familie hat, die er beide betrügt? Bald schon unterstützen sich beide Witwen Gradtkes gegenseitig, denn Öffentlichkeit und Boulevardpresse machen ihnen das Leben zur Hölle. Gegeben werden sie in dieser so verrückten wie kaum glaubbaren Situation hervorragend unterspielt auch in extremen Momenten von Patricia Aulitzky („Kalt“, „Blind ermittelt“) und Anna Schudt („Ein Hauch von Amerika“, „Tatort“).

Die Serie aber beschränkt sich nicht auf den Kern der Ermittlungen, fünf Personen aus dem Bus haben überlebt, jede bekommt Zeit für vertiefende Geschichten, die die Serie „Undertdreizehn“ allesamt erzählt – mit Hilfe von Zeitsprüngen sowohl in die Vergangenheit als auch in die Zukunft. Traumata aus der Kindheit spielen für die Gegenwart genauso eine Rolle wie Gedächtnisverlust aufgrund des Unfalls in der Zeit danach und Alzeimer bei Zeugen, die zum Unfallhergang aussagen sollen – hier brilliert Armin Rohde („Beasts like us“, „Der Greif“) als Firmenchef, dem die Zügel immer mehr entgleiten, ohne dasss er dies so richtig merkt. Doch Thema zurück zum Thema: Wurde der Bus von einem LKW abgedrängt? Aber warum dann die Beschleunigung? Und dann ist da die Architektin Clara, die den Unfall im Bus überlebte. Bei ihr geht es um Schuldgefühle, weil sie eine andere Frau zurückließ, damit sie sich selbst retten konnte, bevor der Bus in Brand geriet. Dass sie hinterher noch einen Mann unter dem Fahrzeug hervorzog, lindert ihren Schmerz und ihre Schuldgefühle überhaupt nicht. Ihren Weg zeigt die Serie ebenso bis zum Ende wie den der Braut ganz in Weiß, die barfuß auf der Rückbank des Busses saß, als der Unfall passierte und ebenfalls überlebte. Was ist mit ihr, dass sie in diesem Aufzug in den Fernbus stieg? Im Laufe der sechs Folgen wirft „Hundertdreizehn“ mit solchen Exkursen etliche weitere Fragen auf, löst manche von ihnen, aber die zentrale Frage nach dem Warum des Unfalls selbst bleibt sehr lange unbeantwortet. Erst in der letzten Folge nähert sie sich über viele Umwege dieser zentralen Antwort – mit manchen Twists. Vor allem aber ist „Hundertdreizehn“ ein glaubwürdiges, in die Tiefe gehendes Drama.