Zum Inhalt springen

„Im Land der Wölfe“ von Elsa Koester

Buchcover „Im Land der Wölfe“ von Elsa Koester

Die Ergebnisse bei den Landtagswahlen im Ostdeutschland werfen dringliche Fragen auf. Hilft Elsa Koesters Roman bei der Suche nach Antworten?

Wer sich nach den Landtagswahlen in Ostdeutschland gefragt hat, wie es zu diesem Ergebnis kommen konnte, findet in Elsa Koesters „Im Land der Wölfe“ durchaus Erklärungsansätze. Der dritte Roman der Freitag-Redakteurin handelt von Nana, die in die sächsische Kleinstadt Grenzlitz reist, um die zukunftsgrüne Spitzenkandidatin Katja Stötzel für das Amt der Oberbürgermeisterin zu coachen. Während des Wahlkampfes reflektiert die Protagonistin über die politischen Stimmungen in Grenzlitz. Anlass für ihre Reflexionen sind nicht zuletzt ihre Gespräche mit Falk Schloßer, einem Anhänger der Blauen, mit dem Nana wider Willen zu sympathisieren beginnt. Geschickt nimmt Koester die Leser:innen an die Hand und begleitet sie auf einer Reise der (Selbst-)Konfrontation, die während des Lesens auch unangenehm werden kann. Die Kernfrage: Wie entstehen politische Positionen? Um die Frage zu beantworten, blickt Koester durch eine empathische und nuancierte Brille auf die Figuren – egal ob die nun rechts oder links stehen.

Das Brodeln im Hintergrund

Nana ist eine Außenseiterin in Grenzlitz. Sie kommt aus Berlin in die ostdeutsche Kleinstadt und fühlt sich zunächst fremd. Sie sucht Anschluss, weshalb sie sich überhaupt auf Diskussionen und Gespräche mit verschiedensten Personen einlässt. Genau wie die Leser:innen muss auch sie zunächst Grenzlitz auf sich wirken lassen. Ihre Neugierde ist der Ausgangspunkt, der den Dialog eröffnet. Gleichzeitig beobachtet sie die aufgeheizte Stimmung in der Stadt: Die beginnt mit Mikroaggressionen wie schrägen Blicken und endet bei verbalen Angriffen und eingeschmissenen Fensterscheiben. Die Stimmung im Roman wirkt konstant bedrohlich. So, als könne jede Sekunde etwas Schlimmes passieren – und der Autorin gelingt es hervorragend, das Unbehagen einzufangen.

Mit „Im Land der Wölfe“ fragt Elsa Koester: Wie entstehen politische Einstellungen

Während ihrer Gespräche mit Falk Schloßer zieht Nana immer wieder Parallelen zu ihrem Exfreund Tom, denn in ihrem Wesen sind sich Falk und Tom sehr ähnlich. Der gravierende Unterschied: Tom war bei der Antifa – also am anderen Ende des politischen Spektrums. Koester zeichnet zwei Männer mit gegensätzlichen politischen Einstellungen, die aber eigentlich gar nicht so unterschiedlich sind. Das unterstreicht erneut die Frage, was einen Menschen zu seiner politischen Einstellung bewegt. Wie können zwei Menschen, die sich eigentlich sehr ähnlich sind, dann doch solch verschiedene Meinungen haben?

Aber auch eine anderes Spannungsfeld wird beleuchtet: Einerseits steht Nana ganz klar kritisch gegenüber den Äußerungen von Falk ganz klar kritisch gegenüber, andererseits sympathisiert sie mit ihm wegen seiner charismatischen Art. Eine emotionale Annäherung findet statt. Zugleich beschreibt die Autorin Katja Stötzel, die Kandidatin der Grünen, als eine zwar kompetente, aber auch unterkühlte Frau, die in ihrem Verhalten nicht immer konsequent ist. Dadurch entsteht ein Konflikt, denn die politische Gesinnung steht in dem Roman der menschlichen Sympathie gegenüber. Doch ist eine Trennung von Gesinnung und Persönlichkeit überhaupt möglich? Gehören Werte wie Toleranz nicht auch zu dem Wesen einer Person? Koesters Roman hält dazu an, gemeinsam mit Nana diese Fragen zu verhandeln, und als Leser:in hält man oft inne, um darüber zu reflektieren, wie man zu dem Gelesenen stehen möchte.

Zeitgleich zum Wahlkampf in Grenzlitz, findet ein E-Mail-Austausch zwischen Nana und ihrer Schwester Noah statt, die sich kurz vor Nanas Abreise als transgender geoutet hat. Auch hier treffen zwei Fronten aufeinander. Für Nana ist es unbegreiflich, dass ihr vermeintlicher Bruder nun doch kein Bruder, sondern eine Schwester ist. Zwischen den beiden entspinnt sich eine Diskussion über Maskulinität, Loyalität und innere Gefühlswelten. Auch wenn der Disput oft wehtut, ist er doch extrem aufschlussreich, da beide Geschwister ihre Beweggründe schildern und Raum für Emotionen lassen. Auffällig ist, dass Nana den Wunsch Noahs ignoriert und nicht damit aufhört, sie als ihren Bruder zu bezeichnen. Während sie also in der einen sozialen Gruppe möglichst progressiv sein möchte, ist sie in der Geschwisterdynamik eindeutig konservativ. Somit wird deutlich, dass auch Nana als Figur nicht immer konsequent denkt und handelt. Bei ihr stehen die Emotionen oft im Vordergrund, was auch ihre Annäherung an Falk erklärt.

Jeder bekommt ein Stück vom Kuchen

Der Roman selbst wertet nicht so laut und offen wie seine Figuren. Er präsentiert die Charaktere auf dem Silbertablett – und dann wartet er darauf, dass sich die Leser:innen selbst ein Urteil bilden. Zu Beginn des Romanes fragt Nana die zukunftsgrüne Gastronomin Janine, ob sie auch Blauwähler:innen in ihrem Café bedienen würde. Sie antwortet: „‚Jeder Mensch braucht mal Kuchen. Kuchen […] muss man sich nicht verdienen. Wer einen Kuchen braucht, der bekommt ihn auch, so sehe ich das.’“ Ein Stück vom Kuchen bekommt in diesem Roman jede Figur, denn sie alle finden Gehör. Nichtsdestotrotz zeigt Koester die Gefahren auf, die aus Uneinigkeit und Polarisierung resultieren. Während Nana, Falk und Co. darüber streiten, welche Meinung richtig und welche falsch sei, schwindet immer mehr das friedliche Zusammenleben. Schlussendlich positioniert sich der Roman für ein gewaltloses Miteinander.

Mit „Im Land der Wölfe“ hat es Elsa Koester auf unsere Liste der besten Bücher im Oktober 2024 geschafft.

Beitrag teilen: