Klassenkampf und Naturnostalgie: Die Alben der Woche
Disarstar macht Polemik, die Paper Kites singen mit Freundinnen und Blackmore’s Night sehnen sich in eine bessere Zeit zurück. Unsere Alben der Woche
Dieses Mal sind unsere Alben der Woche allesamt programmatisch angelegt. Es sind nicht einfach lose Songsammlungen, sondern durchgeplante Statements – aber immer auf komplett unterschiedliche Weise. Der Rapper Disarstar hat mit „Deutscher Oktober“ gleich ein politisches Manifest rausgehauen, in dem er den Kapitalismus auseinandernimmt. Ganz anders da sein Kollege Gossenboss mit Zett, der sich abends lieber auf die Couch zurückzieht. Aber sein bedingungsloses Einstehen für den eigenen Lebensentwurf rückt ihn dann doch wieder in Disarstars Nähe.
Mit Politik haben Blackmore’s Night nur wenig am Hut. Das Duo will lieber zurück zur Natur; daran lässt die neue Platte „Nature’s Light“ keinerlei Zweifel. Auch die Paper Kites geben sich mit „Roses“ auf den ersten Blick pastoral. Worum es der Band aber wirklich geht, verrät ein Blick in die Tracklist: Alle Songs wurden mit einer anderen Sängerin aufgenommen – es passt also, dass der Frauenkampftag erst gestern war. Die Alben der Woche:
Disarstar: Deutscher Oktober
Inmitten der linken Zeckenrap-Kolleg*innen sticht Disarstar durch seine Humorlosigkeit hervor: Nichts Satire, nichts Selbstironie. Stattdessen ist klar: Disarstar meint, was er rappt – und vor allem meint er es ernst. Vielleicht ist er so hart, weil er früher selbst die Straßenklischees erfüllt hat. Für Kollegen, die nur über Geld und Drogen rappen, hat Disarstar heute nichts als Verachtung übrig: „Wärst du nicht aus dem Ghetto, dann wärst du der Wendler“ („Tsunami“) ist wohl das Grausamste, was man einem Deutschrapper an den Kopf werfen kann.
Mit „Deutscher Oktober“ hat Disarstar ein selbsternanntes politisches Manifest vorgelegt. Detailliert beschreibt der Rapper darin die Ungleichheit in seinem Viertel St. Pauli („Nachbarschaft“), spricht (wie immer) sehr offen über die eigenen Dämonen („Trauma“) und solidarisiert sich mit der Unterschicht („Sick“). Die düsteren Trap-Beats passen besser zu diesen schonungslosen Texten als so mache Deutschpop-Anleihe in der Vergangenheit. Mehrmals hört Distarstar sogar mit dem Rappen auf und sagt uns direkt die Meinung („Intro“). Das kann ans Freudlose schrammen, und Lösungen für die desolaten Zustände gibt es von Disarstar auch nicht. Aber wer hat die schon?
The Paper Kites: Roses
Etwas ganz Neues haben The Paper Kites sich für ihr fünftes Album überlegt: Auf jedem der zehn Tracks ist eine andere Sängerin als Feature zu hören. Und die australische Band hat eine eindrucksvolle internationale Gruppe versammelt: von australischen Landsfrauen wie Julia Stone oder Ainslie Wills über die Schwedin Amanda Bergman bis zur amerikanischen Bluegrass-Sängerin Aoife O’Donovan. Sie alle gehen die Vision der Paper Kites mit, ihre Stimmen schmiegen sich elegant und reibungslos an die sanften, zerbrechlichen Tracks.
Doch genau das lässt „Roses“ nach einigen Songs wie eine verpasste Gelegenheit klingen: Die Portugiesin MARO etwa, die den Opener „Walk above the City” verfeinert, hat mit gleich vier Stipendien am legendären Berklee-College studiert und ist mit Jacob Collier getourt. Bei ihrem Duett mit Frontmann Sam Bentley hört man allerdings wenig davon: Nicht nur die Songs, auch die Stimmen der jeweiligen Sängerinnen verschwimmen hinter der nebligen Grundstimmung der Platte. Bentley und Co. hätten ihre Gäste ruhig um mehr Input bitten können.
Blackmore’s Night: Nature’s Light
Nostalgie ist schon immer treibende Kraft für Ritchie Blackmore, der einst Deep Purples Hardrocksound mit mittelalterlichen Klängen unterfütterte. Seit mehr als zwei Jahrzehnten konzentriert er sich mit seiner Frau, Sängerin Candice Night, ganz auf die Themen und Klänge der Renaissance. Mit ihrem elften Album wollen die beiden jetzt sogar noch weiter zurück: zur Natur nämlich, wie schon der Titel verrät.
Entsprechend bevölkern Winde („Feather in the Wind“), Bäume („The twisted Oak“) und Jahreszeiten („Once upon December“) die Platte, und Night verpackt ihre Liebesgeschichten bevorzugt in pastorale Metaphern. Die Natur wird dabei als etwas Heilendes präsentiert, von dem wir uns heute zu weit entfernt haben. Konsequent lässt auch Blackmore die elektrische Gitarre meist im Koffer und zupft sich in echter Lautenmanier durch die Arrangements, die mit Flöten, Cembali und Pauken komplettiert werden. Wenn er dann doch mal ein längeres Solo loslässt, wie auf dem Closer „Second Element“, stimmt das aber auch direkt wieder nostalgisch. Es geht nur zurück in die 70er, aber immerhin.
Gossenboss mit Zett: No Future
Man kennt ihn als ewigen Support-Act für Kumpel wie Kollege Hartmann oder Milli Dance, die natürlich auch auf der neuen Platte dabei sind. Hat der Rapper Gossenboss mit Zett also wirklich „No Future“ als Star, wie der Albumtitel postuliert? Und wenn schon: Ihm reicht es, Bier zu trinken, ab und zu eine Show zu spielen und abends auf der Couch zu sitzen. Diesen Lebenswandel beschreibt er mit Songs wie „Combo“ oder „Papa ist zurück“ so verführerisch, dass man sich direkt daneben setzen will.