„Ku’damm 77“ im ZDF: Was passierte 1936 in der Tanzschule?
Mediathek first: Die „Ku’damm 77“ zeigt uns die Tanzschule Galant und ihre Betreiberinnen in den 1970er Jahren in der ZDF-Mediathek mehrere Wochen vor der Ausstrahlung im Zweiten.
Seit mit „Ku’damm 63“ die dritte Staffel der Serie um die Schöllack-Familie und ihre Tanzschule über den Sender gegangen sind, sind fast schon wieder fünf Jahre vergangen. Jetzt startet in der ZDF-Mediathek Staffel 4: „Ku’damm 77“ – es sind also 14 Jahre erzählte Zeit vorbei. Erstaunlich, wie frisch sich alle Heldinnen und Helden gehalten haben, was andererseits auch kein Wunder ist: Sie wurden in den früheren Staffeln älter gemacht.
Der eigentliche Hammer der neuen Staffel „Ku’damm 77“ lässt nicht lange auf sich warten: Eine jüdische Stiftung verlangt die Tanzschule Galant zurück, die nicht immer so heiß und vor 1936 in jüdischem Besitz war – Caterina (Claudia Michaelsen, „Das Fest der Liebe“, „Das Begrägnis“) will lange gar nicht wissen, wie und womit genau ihr verstorbener Mann das Gebäude gekauft hat. Tatsache ist: Die Familie hatte sich damals im Rahmen der „Arisierung“ verbrecherisch bereichert. Caterinas Kinder treibt indes ganz anderes um. Monika (Sonja Gerhardt, „Ich bin Dagobert“) trainiert mit ihrer Tochter Dorli (Carlotta Bähre, „Sexuell verfügbar“) Turniertanz, denn Dorli soll es der Oma nachtun, wird allerdings im Lauf der Zeit schmerzmittelsüchtig. Helga (Maria Ehrich, „Altes Land“) hat indes ganz andere Probleme mit ihrer Tochter Friederike (Marie Louise Albertine Becker, „Free“) , die die Schule schmeißen und Polizistin werden will. Und dann bahnt sich die Entlassung der dritten Tochter Eva (Emilia Schüle „Wunderschöner“) an, die wegen Totschlags an ihrem Mann eine Gefängnisstrafe absitzen muss. Für eine Serie, die im Jahr 1977 spielt, sieht sich „Ku’damm 77“ ziemlich rückwärtsgewandt an, was auch an den Charakteren von Oma, Töchtern und Enkelkindern liegen kann. Oder am Konzept „Tanzschule“? Tatsache ist: Von „Disko 76“ trennen die Serie Welten. Aber dort wird ja auch ein Jahr vorher die erste Disko Bochums eröffnet.
„Ku’damm 77“ ist kein „Disko 76“
Was aber positiv auffällt: „Ku’damm 77“ (Drehbuch wieder: Annette Hess, „Deutsches Haus“, „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“) thematisiert die Problematik des Schwulseins in Ost und West am Beispiel von Helgas Ex Wolfgang, der in die Hauptstadt der DDR gezogen ist, weil Schwule dort vom Gesetz her nicht mehr diskrimiert werden dürfen. Doch Wolfgang (August Wittgenstein, „Höllgrund“, „Faithless“) wird von der Stasi erpresst, soll informeller Mitarbeiter werden. Bleibt Sabin Tambrea („Die Herrlichkeit des Lebens“). Sie werden fragen: Was soll das? Monikas Mann Joachim hat doch in der letzten Staffel Selbstmord begannen? Jaaa. Tambrea spielt aber wieder mit, mehr wird hier jetzt nicht gesagt. Ein letztes Wort zur Regie: Maurice Hübner („Boom Boom Bruno“, „Kitz“) hat diese Staffel gedreht, in der „Stromberg“-like, aber dann doch etwas anders eine Doku über die Familie Schöllack gedreht wird. Der Effekt: Das HD-Bild wechselt sich immer wieder mit 4:3-Aufnahmen der 70er Jahre in den 70-er-Jahre-Farben ab, und alle Frauen dürfen in diesem Format in die Kamera plaudern oder werden bei ihren Tätigkeiten einfach gefilmt. Das ist manchmal erfrischen kurzweilig, oft aber unglaubwürdig, weil in den jeweiligen Situationen im wirklichen Leben gar keine Dreherlaubnis ausgestellt würde. Ganz abgesehen von der nicht vorhandenen Motivation der ganzen Familie, bei diesem Projekt überhaupt mitzumachen. Dass es einen dramaturgischen Grund dafür gibt, ist gut versteckt in die Handlung eingebaut, macht aber die Kritik nicht obsolet.