Eine Künstliche Intelligenz performt an der Semperoper
Eine Künstliche Intelligenz führt an der Semperoper eine Oper auf. Ist das Kunst, oder kann das weg? Unser Interview.
Herr Beyer, in der Oper Chaising Waterfalls lassen Sie als Regisseur und Medienkünstler eine Künstliche Intelligenz komponieren, texten, singen und spielen. Das klingt faszinierend und schrecklich zugleich, als würde der Computer HAL 9000 aus Stanley Kubricks „2001“ auf Beatles und Bach machen …
Sven Sören Beyer: Sie werden nicht der einzige sein, dem es so geht. Genau das ist ja auch das Spannende an dem Thema. Künstlerinnen und Künstler sollten sich genau daher mit diesen Themen beschäftigen und tun es ja auch nicht erst jetzt. Wir alle nutzen KIs in unserem Alltag: im Smartphone, Social Media, unsere Kreditwürdigkeit wird von Künstlichen Intelligenzen bewertet. Genau damit beschäftigt sich „Chasing Waterfalls“ – wer hat hier eigentlich das Sagen?!
Künstliche Intelligenz als ebenbürtiger kreativer Partner?
Sie haben mit dem Künstlerkollektiv phase 7 performing.arts schon verschiedene performative Inszenierungen und Installationen kreiert, die das Spannungsfeld zwischen Mensch und Maschine untersuchen. Was fasziniert Sie so daran?
Beyer: Ich habe immer gern mit neuen Technologien gearbeitet und sehe sie primär als Tool. Bevor es elektrisches Licht gab, hat man in Theatern die Bühne noch mit Kerzen beleuchtet. Der Mensch ist im Alltag immer mit neuen Technologien konfrontiert. Die Bühne spiegelt den Alltag wider, und daher ist es folgerichtig, dass man sich auch dort mit neuen Technologien beschäftigt. Mit technischen Mitteln Emotionen erzeugen, das fasziniert mich. Sei es mit einem Schwarm aus Drohnen, die Formen in die Luft malen oder mit einer KI, die zum ersten Mal dichtet, komponiert und singt.
Mit technischen Mitteln Emotionen erzeugen, wie Sie sagen, geht das denn? Große Musik entsteht doch immer aus großen Emotionen, die kann man nicht programmieren. Was bedeutet die musikalische Künstliche Intelligenz für die menschliche Kreativität?
Beyer: Genau diese Frage ist wirklich interessant, und damit beschäftigen wir uns ja auch in der kreativen Arbeit an „chasing waterfalls“. Was ist denn Kreativität, und wo ist die Grenze, ab der wir etwas als nicht kreativ, kreativ oder sogar genial definieren? Auch die Auseinandersetzung mit der Funktionsweise einer KI kann kreative Prozesse in Gang setzen – sei es bei dem Menschen, der sich mit der KI befasst, bei der KI selbst oder – auch das vergisst man schnell – bei dem Menschen, der die KI programmiert. KIs sind bereits in kreativen Schaffungsprozessen aktiv oder zumindest erschaffen sie. Ich bin überzeugt, dass spätestens mit zunehmender Rechenleistung Künstliche Intelligenz zum ebenbürtigen kreativen Partner werden kann.
Wem gehört das Werk, wenn eine Künstliche Intelligenz komponiert?
Was ist eigentlich Ihre Lieblingsmusik?
Beyer: Irgendwas zwischen Kraftwerk und Bach.
Letztes Jahr hat eine KI Beethovens unvollendete 10. Sinfonie zu Ende komponiert, und Abba treten als Avatare aus Milliarden Computerrechenstunden auf. Ist die Zukunft der Musik nicht nur in ihrer Abspielform digital, sondern auch in ihrer Entstehung?
Beyer: Definitiv! Das betrifft nicht nur die Zukunft der Musik – auch in der Gegenwart ist die Musik längst in der Digitalität angekommen. Viele Künstler nutzen schon Formen von KI als Komponist und kreatives Tool für ihre Musik, zum Beispiel AIVA, Taryn Southern oder David Cope. Dieser rapide Fortschritt in der Verbindung von KI und Musik ist ganz klar nur der Anfang. Genau diese Entwicklung ist für mich als Künstler so interessant, insbesondere, da hier eine Art Demokratisierung der Musik stattfindet. Jeder kann mit KI-Tools mittels Spracheingabe „komponieren“, auch ohne musikalische Kenntnisse. Wir brauchen dringend eine ethische Diskussion über Kreativität und die Zusammenarbeit mit Computern. Wem gehört denn am Ende das Werk, wenn eine KI komponiert? Der KI? Dem Programmierer? Dem Ideengeber? Oder jemand ganz anderem?
In dem Science-Fiction-Film „Ex Machina“ tötet die KI in Form einer Androidin am Ende ihren Macher und flieht, um sich ihren großen Wunsch zu erfüllen: unter Menschen zu leben. Sie sind schon sicher, dass Sie Ihre Kreationen im Griff haben?
Beyer: Keineswegs 🙂
Interview: Volker Sievert
chaising waterfalls hat am 3. September Uraufführung. Weitere Aufführungen sind am 8. und 11. September.
Hier gibt es mehr Informationen zu der bahnbrechenden Oper.