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Echte Gefühle: Die Alben der Woche

Die beste neue Musik wird diese Woche trotz unterschiedlicher Genres von ähnlichen Themen bestimmt: Gefühle, Verletzlichkeit, Songwriting.

Die beste neue Musik, die diese Woche in Albumform erscheint, wird trotz recht unterschiedlicher Genres von ähnlichen Themen bestimmt: Echte Gefühle, Verletzlichkeit, Songwriting. Nachdem beim Artpop von Everything Everything aus Manchester zuletzt durchaus berechtigte Zweifel aufgekommen sind, kehrt die Band mit ihrem besten Album seit Langem „Re-Animator“ zurück. Und das liegt vor allem an den emotional zugänglichen Stadionhymnen wie „Violent Sun“: Die Band aus Manchester macht Pathos wieder cool.

Sidi Touré geht in die andere Richtung: Der legendäre malische Folk-Songwriter setzt nach der überbordenden Band-Platte „Toubalbero“ mit seinem neuen Album „Afrik Toun Mé“ auf Reduktion. Dadurch gewinnt er an Intimität, und seine Hörer*innen können sich an den ruhigen, zutiefst freudvollen Folkstücken satthören.

Wer dagegen mehr auf Aufrichtigkeit setzen sollte, ist der Stuttgarter Rapper Weekend. Der greift auf seinem neuen Album „Lightwolf“ nämlich immer noch über weite Strecken in die Ironiekiste. Wo das Album jedoch gelingt, ist, wenn Christoph Wiegand Gefühle wagt und sogar Kitsch zulässt – etwa bei „NONO’S SONG“, dass er seinem Kind widmet. Die Alben der Woche:

Everything Everything: Re-Animator

Everything Everything Re-Animator Albumcover Platz zwei unserer September-Liste der besten Alben 2020Zweifel sind beim fünften Album von Everything Everything durchaus berechtigt, denn so spannend die Band aus Manchester zuletzt auch mit Elektronik und innovativer Produktion den angezählten Indiebandsound umgangen hat, fehlten Alben wie „Get to Heaven“ und „A Fever Dream“ eben doch die wirklich guten Songs. Bei „Re-Animator“ war das Songwriting wieder stärker im Fokus – und so reichen allein der Opener und das finale Stück, um jegliche Bedenken zu zerstreuen.

Am Anfang steht mit „Lost Powers“ ein Song, dessen Unwiderstehlichkeit sich allein aus der Gesangsmelodie speist und bei dem Sänger Jonathan Higgs sein Falsett so wohlklingend wie nie zuvor zum Einsatz bringt. Am Ende dagegen drehen Everything Everything voll auf, indem sie mit „Violent Sun“ eine Stadionhymne raushauen, die sowohl von New Order als auch von Bruce Springsteen inspiriert ist – und auch das funktioniert ohne Peinlichkeit. Plötzlich ist Innovation nicht mehr nur Selbstzweck und Pathos nicht nur wieder salonfähig, sondern sogar cool. So abgegriffen und unoriginell diese Referenz auch sein mag, passt sie hier doch einfach zu gut: „Re-Animator“ ist das beste Radiohead-Album seit „In Rainbows“.

Sidi Touré: Afrik Toun Mé

Sidi Touré Afrik Toun Mé Albumcover Platz zehn unserer September-Liste der besten Alben 2020Nach der überbordenden Band-Platte „Toubalbero“ von 2018 hat sich der legendäre malische Musiker Sidi Touré für sein nächstes Album zurückgezogen. Die Reduktion auf ein Trio hat seine ihm eigene Energie, sein dynamisches Gitarrenspiel und seine gefühlvolle, wandlungsfähige Stimme gestärkt: Gemeinsam mit dem Gitarristen Mamadou Kelly und dem Perkussionisten Boubou Diallo spielt Touré diesmal nicht minder weitläufigen, aber schlichteren polyrhythmischen Folk.

War „Toubalbero“ ein Langstrecken-Sprint, ist „Afrik Toun Mé“ ein Spaziergang geworden, zwar in zurückgelehnt schlenderndem Tempo, doch immer noch zielgerichtet. Zwar ist „Afrik Toun Mé“ von Moment zu Moment betrachtet nicht so markant wie Tourés ambitioniertere Arbeiten, doch es gewinnt durch die Entspannung die Aura einer großen inneren Kraft, kommunal und tröstend. Der Vorteil eines erkundenden Spaziergangs: die Ruhe, einmal das große Ganze in Betracht nehmen zu können – und zu erkennen, was wirklich wichtig ist.

Weekend: Lightwolf

Weekend Lightwolf AlbumcoverNatürlich mag Weekend „Bojack Horseman“. So selbstironisch, tiefsinnig und witzig wie die Netflix-Serie wäre der Rapper nämlich auch gern, wie er im letzten Song seines neuen Albums zugibt. Zumindest die Selbstironie beherrscht Christoph Wiegand perfekt – vielleicht sogar ein bisschen zu gut. Grundsätzlich ist es im HipHop noch immer erfrischend, wenn einer nicht mit dicker Hose daherkommt, sondern ehrlich sagen kann: „Ich bin wie Ice Cube, nur in Weiß und whack/Mit weniger Autos, Style und Sex“ („13 KROKODILE“).

Nur: Locker-leichte Wortspiele, gelegentliches Schmunzelpotenzial und viel Sympathie reichen nicht aus, um über 13 Tracks das Interesse zu halten. Auch die generischen Trapbeats und Weekends Hang zu Refrains, die zumeist die schlechtesten Zeilen des Songs liefern, helfen da wenig. Es gibt jedoch Lichtblicke: Abwechslung bietet „www.internet.de“, eine NDW-Hommage komplett mit gated reverb in den Drums. Und „NONO’S SONG“, gerichtet an Christophs kleines Kind, ist zwar kitschig, lässt aber zumindest das Augenzwinkern zu Hause. Ein bisschen echtes Gefühl ist nämlich gar nichts Schlimmes – das lernt auch Bojack Horseman, irgendwann.

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