Neue Musik, die ihr hören müsst: Die Pop-Alben der Woche
Albrecht Schrader über das Coming-of-Age als Bildungsbürger, Haim mit ihrem bisher besten Album und Haiyti so verletzlich wie noch nie: Die Alben der Woche.
Auch diese Woche steht die Musikwelt natürlich nicht still, wir haben für euch vier neue Alben zusammengestellt, die diese Woche in der Heavy Rotation nicht fehlen dürfen. Diesmal fällt die Liste sehr deutschlastig aus: Albrecht Schrader gibt mit „Diese eine Stelle“ die deutsche Antwort etwa auf den nostalgiegeladenen Synthpop von Frank Ocean, Haiyti zeigt sich auf „Sui Sui“ zu Beats, die an Kanye Wests visionäres Meisterwerk „808s & Heartbreaks“ erinnern, so verletzlich wie noch nie.
International setzen Haim mit „Women in Music Pt. 3“ nicht nur ein gewohnt starkes Statement für Gleichberechtigung, sondern liefern zugleich noch ihr bis dato bestes Album ab – die Neuentdeckung der Woche, der gerade mal 26-jährige Produzent Evan Shornstein alias Photay rundet die sonst eher poplastige Auswahl dieser Woche mit so ziemlich jeder erdenklichen Elektronika-Spielart ab.
Albrecht Schrader: Diese eine Stelle
Pop-Feuilletonfeste Leser*innen wissen bereits: Albrecht Schrader ist gut – Leitsubkultur quasi. „Diese eine Stelle“ ist seine Coming-of-Age-Platte, und wer neben dem Werk auch mit der Biografie Schraders vertraut ist, beginnt jetzt wohl, sich zu sorgen: Wie lässt sich eine Coming-of-Age-Platte schreiben, wenn man aus gutem Hause stammt und im Bildungsbürgertum aufgewachsen ist?
Doch Schrader klammert seine Privilegien nicht aus, sondern entdeckt die Widersprüche zwischen Form und Inhalt. Daraus ergeben sich spannende Brüche wie die Leadsingle „Auf dem Golfplatz“, doch neben der cleveren programmatischen Finte sind es einmal mehr die Schrader’schen Songwriting-Skills, durch die „Diese eine Stelle“ gelingt. Hier das ganze Review lesen.
Haiyti: Sui Sui
Dass Kanye Wests „808s & Heartbreak” bis heute tief in der DNS des HipHop steckt, können noch so viele mittelmäßige Gospelalben seinerseits nicht unwahr machen. Nie war das so deutlich wie bei Haiytis viertem Album „Sui Sui“. Vom ersten Ton an dominiert hier eine Atmosphäre der Melancholie, der sterilen Kälte – zusammen mit einer neuen Pop-Melodik, die eben immer wieder Assoziationen mit Kanyes sentimentalem Meilenstein weckt.
Trap in den Beats und den Adlibs, Markennamen am Fließband, exzessive Anglizismen, überhaupt: dieser spezielle Haiyti-Jargon, der fast eine eigene Kunstsprache ist. Haiyti rappt weniger und singt mehr, und zwar vorzugsweise über Einsamkeit und Entfremdung. Auch das ist Pose und Inszenierung, klar. Trotzdem lässt sich der Verdacht nicht abschütteln: Viel verletzlicher wird eine wie Haiyti nicht. Hier das ganze Review lesen.
Photay: Waking hours
Ausgerechnet mit seinem anspruchsvollen IDM-Projekt Photay verspricht Evan Shornstein eine meditative Auszeit, wo doch in den zehn Tracks seines zweiten Albums zwischen Elektronik, Balkan Pop und Jazz jederzeit alles möglich ist. Tatsächlich weiß er die Komplexität aber gut zu tarnen, zumal die Sound-Subtilitäten nie reiner Selbstzweck sind und auf „Waking Hours“ verstärkt durch seinen Gesang strukturiert werden.
„Pressure“ passt auf der Tanzfläche perfekt zwischen Gold Panda und Mount Kimbie, bei „The People“ überrascht er mit zurückgelehnter Funkiness, und weil im Jahr 2020 nichts ironiefrei behauptet werden kann, wiederholt er seine Botschaft in „Rhythm Research“, dem fast schon unverschämt eingängigen Höhepunkt des Albums: „Multi-Tasking! You’re so damn good at it! Several thousand things you’ve done so swimmingly! Put it down just for a second!“ Hier das ganze Review lesen.
Haim: Women in Music Pt. 3
Es ist nicht zuletzt Haim zu verdanken, dass mittlerweile immerhin die Frage diskutiert wird, ob Musikfestivals wirklich Pimmelparaden sein müssen. Da passt es ganz gut, dass die Schwestern aus L.A. ihr drittes Album „Women in Music Pt. 3“ nennen, denn es unterstreicht ihren Anspruch auf die Headlinerslots. Wie gehabt holen sie mit spielerischer Leichtigkeit den Folk à la Fleedwood Mac und 80er-Pop ins Jetzt und platzieren dazwischen auch noch ganz selbstverständlich eine funkelnde R’n’B-Nummer.
Neu ist jedoch, dass mittlerweile auch die Texte auf Augenhöhe mit ihrer Pop-Cleverness sind: Mit „I’ve been down“ singt Danielle Haim gegen Depressionen an, in „Hallelujah“ verarbeitet Alana Haim den Tod einer engen Freundin, und „The Steps“ ist eine klare Ansage in Richtung Boyfriends: „And every day I wake up and make money for myself/And though we share a bed/You know that I don’t need your help.“ Hier das ganze Review lesen.