Drei Mal Nachwuchs und ein Altmeister: Die besten Alben der Woche
Von Folk bis Noiserock ist das Spektrum der Neuerscheinungen diese Woche breit – und vor allem sind es Newcomer*innen, die diesmal überzeugen.
Die beste neue Musik kommt diese Woche von Newcomer*innen: Sprain, Grant Pavol und Erregung Öffentlicher Erregung legen Debütalben vor, die es mit der Crème de la Crème ihrer jeweiligen Genres aufnehmen können. Sprain etwa tasten sich mit „As lost through Collision“ und fiebrigem Noiserock und schütterem Post-Hardcore an Genre-Legenden wie Slint ran, auch in Sachen Qualität. Erregung Öffentlicher Erregung erinnern dagegen an die besten Momente der NDW – und dürften so einige überzeugen, für die das Nachhören der Musik von damals heute ernüchternd wirkt.
Grant Pavol hat als Singer/Songwriter als einziger Konkurrenz, wenn es um die neue Musik der Woche geht. „About a Year“ ist erst sein Debüt, doch geben wir ihm noch ein Jahr, und er zieht mit der Konkurrenz gleich. Phoebe Bridgers etwa zwängt sich als Vergleich auf, oder aber auch Elliott Smith und Sufjan Stevens. Bill Callahan ist als einziger im Bunde etabliert, doch auch, wenn Callahan auf „Gold Record“ nicht das Rad neu erfindet: Seinen spröden Witz und die konzentrierteren, mittlerweile harmonischeren Songs wird man so schnell nicht über haben.
Sprain: As lost through Collision
Lange hat neue Musik von frustrierten, bis zur Gelähmtheit wütenden jungen Menschen nicht mehr so dringlich, aufregend und richtungsweisend geklungen, wie bei dem kalifornischen Quartett Sprain. Alex Kent, April Gerloff, Alex Simmons und Max Pretzer mögen in dieser Konstellation erst seit knapp zwei Jahren zusammenspielen, doch in der Zeit haben sie es bereits geschafft, sich all ihrer Einflüsse vollends zu bemächtigen. So gießen sie ihren infektiösen Missmut in immer neue Aggregatzustände.
Bereits auf dem grandiosen Opener „Slant“ changieren Sprain mühelos zwischen fiebrig zuckendem Postpunk mit dräuenden Feedback-Drones und schütterem Post-Hardcore, der nicht nur in Sachen Stimmung an Genre-Legenden wie Slint erinnert. Im weiteren Verlauf beziehen sie auch noch fahrige Free-Jazz-Bläser in ihren Sound mit ein („Worship House“) oder beweisen auf dem beinahe neunminütigen Verzweiflungs-Höhepunkt „My Way out“, dass sie den lodernden emotionalen Kern ihrer Musik auch in nahezu vollkommener Stille entzünden können. Ein Meilenstein.
Grant Pavol: About a Year
Fans von Phoebe Bridgers sollten unbedingt auch Grant Pavol für sich entdecken. Der Singer/Songwriter aus Philadelphia hat bereits mit 15 begonnen, Songs zu schreiben, und legt nach der EP „Okay“ nun endlich neue Musik vor – und wäre da nicht Phoebe Bridgers’ „Punisher“, er wäre die Songwriter-Entdeckung des Jahres. Wo wir schon bei Referenzen sind: Der Vollständigkeit halber sollten hier auch Elliott Smith und Sufjan Stevens erwähnt werden.
Was Pavol seinen Vorbildern allerdings voraus hat – auch der wundervollen Phoebe – ist, wie er Songwriter-Folk und Country mit HipHop-Beats und elektronischem Bedroom-Pop kreuzt, ohne dabei die herrlich entrückte Grundstimmung in Gefahr zu bringen. Dazu schreibt er schlicht und ergreifend ganz wundervolle Texte, wie das seinem Großvater gewidmete „Bones“, mit formvollendeten Zeilen wie „We all desaturate/Nude pith descends to grey, sending away“. Pavol hat „About a Year“ in circa einem Jahr und im Alleingang in seinem Studentenwohnheim aufgenommen. Geben wir ihm noch eins, und er zieht mit Phoebe gleich.
Bill Callahan: Gold Record
Sechs Jahre kein Album! Und dann gleich zwei Mal neue Musik in 14 Monaten! Bill Callahan bleibt der große, unberechenbare US-Folkie mit der fantastischen Bariton-Stimme, von der man sich nur zu gerne ganze Kochbücher vorlesen lassen würde. Und wenn man davon ausgeht, dass sein lyrisches Ich mit dem realen Callahan übereinstimmt, dann gibt es auf „Gold Record“ tatsächlich kulinarische Neuigkeiten: Frühstück ist des Dichters liebste Mahlzeit! Tortillas und Bohnen isst er gern, und einmal die Woche Büffelfleisch!
Das 18. Studioalbum des Singer/Songwriters ist von gewohnt trockenem Humor durchzogen. Callahan reimt „alone“ auf „L. Cohen“ und „straight shooter“ auf „Ry Cooder“ – dass die beiden seine Idole sind, hatte man sich ja eh schon gedacht. Musikalisch hat das nicht die spannungsgeladene Weirdness vergangener Jahrzehnte (auch nicht in der neuen Version seines 20 Jahre alten „Let’s Move to the Country“), wirkt aber konzentrierter und harmonischer als zuletzt. Ganz groß: das Pfeifen des herrlich schunkeligen „Cowboy“ im gleichnamigen Song.
Erregung Öffentlicher Erregung: EÖE
Da ist das traurige Gesicht des Kollegen, der sich nach 40 Jahren die ersten beiden Alben von Ideal ein zweites Mal gekauft hat – und dann feststellen musste, dass sie in echt doch stärker gealtert sind als in seiner Erinnerung. Ihm sei Erregung Öffentlicher Erregung empfohlen, denn die Stimme von deren Sängerin Anja Kasten wird nicht nur immer wieder mit der jungen Annette Humpe verglichen. Der Postpunk-Entwurf des zwischen Hamburg und Berlin pendelnden Quintetts schafft es auch, die Energie, den Trotz und den Dada-Humor der Neuen Deutschen Welle ins 21. Jahrhundert zu transformieren.
So wie sie nach diversen EPs auf dem Debütalbum mit Songs wie „Da wo wir am schönsten sind“ und „Kacke in der Jacke“ thematisieren, auch mit Mitte 30 noch nicht zu wissen, wie das Leben weitergehen kann, findet das auch den leidenschaftlichen Zuspruch von H.P. Baxxter: „Mich persönlich erinnert die Musik an meine Jugend, als es noch völlig normal war, seine Wut musikalisch zum Ausdruck zu bringen, eine klare Meinung zu äußern und gegen den Strom zu schwimmen.“ Da ist die Vorstellung, dass der Kollege fortan mit dem Scooter-Shouter um die Wette strahlt.