Olivia Wenzel: 1000 Serpentinen Angst
Mit ihrem Debüt stellt Olivia Wenzel beklemmend dar, was mit einer Frau geschieht, für die es zur Überlebensstrategie geworden ist, ihre eigene Außenwahrnehmung mitzudenken.
Schwarz, weiß, Frau, queer, ostdeutsch. Die namenlose Protagonistin der Autorin Olivia Wenzel zerfällt in etliche Identitäten, Wenzels Debütroman „1000 Serpentinen Angst“ tut es ihr gleich: Drei Teile hat er, der erste und der letzte finden überwiegend als Dialog mit einer internen Stimme statt, deren Rolle so fluid wie ihre Präsenz allumfassend ist. Mal klingt sie wie ein Überwachungsstaat, mal wie ein*e Therapeut*in, mal wie ein seelischer Spiegel. Immer wieder fragt sie: „Wo bist du jetzt?“ Diese Frage leitet den Fluss der Erzählung, die sich zwischen dem Besuch bei der Großmutter, einem Urlaub in den USA zur Zeit von Donald Trumps Wahlsieg 2016 und einem Urlaub in Vietnam abspielt.
Dazwischen steht, im zweiten Teil, der das Dialogschema aufbricht, der Besuch bei der Mutter und damit das überall angerissene Resümee der Vergangenheit. Außerdem: das Klarkommen auf die turbulente Gegenwart und die Reflexion der vielen Identitäten, die stets aufs Neue rekontextualisiert werden müssen. Denn die Vergangenheit hinterlässt Spuren im Jetzt: Beziehungsunfähigkeit, Angststörungen, Destruktivität und Depression – Olivia Wenzel stellt beklemmend dar, was mit einer Frau geschieht, für die es zur Überlebensstrategie geworden ist, stets eine Außenwahrnehmung mitzudenken.
Umso berührender wird „1000 Serpentinen Angst“, wenn es ihrer namenlosen Protagonistin endlich gelingt, das Verhältnis zwischen Ich und Außen zu überwinden – und das Glück zu finden.
Olivia Wenzel 1000 Serpentinen Angst
S. Fischer, 2020, 352 S., 21 Euro