Gefährliche Gefühle
Seine unheilvollen Begierden lebt Mike Hadreas als Perfume Genius aus – weil er hofft, sie im Songformat kontrollieren zu können.
Mike, betrachtet man deine Entwicklung über jetzt fünf Alben als Perfume Genius, dann ist es ein Weg, der ausgehend vom Schmerz des Debüts mit Themen wie Missbrauch, Drogen und Selbstzerstörung einen Heilungsprozess und eine Art Wiedergeburt beschreibt.
Mike Hadreas: Natürlich habe ich mit jedem Album für sich versucht, diesen Weg zu gehen, aber ich sehe diese Entwicklung auch. Die Songs auf dem Debüt waren die ersten Songs, die ich jemals geschrieben habe. Es gab keinen Vorlauf, das Lernen und der Heilungsprozess fand immer schon vor Publikum statt.
Der große Durchbruch war vor drei Jahren das Album „No Shape“, mit dem du endgültig den Platz hinterm Klavier aufgegeben und dich zum Performer gewandelt hast. Im Anschluss an die Tour bist du sogar in der Performance „The Sun still burns here“ als Tänzer aufgetreten.
Hadreas: Mit „No Shape“ wollte ich weg vom Minimalismus und nicht nur emotional und auf der Textebene, sondern auch musikalisch mehr entdecken. Dadurch ist die Musik sehr körperlich geworden, meine Bewegungen sind Teil dessen, was ich mit den Songs kommuniziere. Es war eine Gegenbewegung zu meinen Anfängen, ich wollte in jede mögliche Richtung gehen. Auf der neuen Platte habe ich versucht, eine Harmonie zwischen diesen beiden Extremen zu finden. Es gibt nicht mehr die zeitlich versetzte Aufarbeitung wie am Anfang und auch keine Überspitzung. Die Songs sind ganz nah bei mir, und dadurch fühle ich mich so verletzlich wie nie zuvor.
Stücke wie „On the Floor“ beschreiben romantische Achterbahnfahrten und das kompromisslose Begehren – doch sind das ja gerade Gefühle, vor denen du dich schützen willst.
Hadreas: Das ist der große Zwiespalt, an dem ich mich gerade befinde. Wie weit kann ich mich öffnen und die mich beschützende Isolation verlassen? Ich will das große Drama und die absoluten Gefühle nicht komplett aufgeben, denn das sind die Orte, an die ich mich begebe, wenn ich kreativ bin und etwas erschaffe. Gleichzeitig weiß ich, dass ich an sehr gefährlichen Orten ankomme, wenn ich meinem Begehren kompromisslos folge. Reicht es, wenn ich das in Songs auslebe? Andererseits muss ich beim Schreiben aus mir raustreten, um größere Zusammenhänge zu erkennen. Wenn ich emotional bin, lande ich bei einer sehr eindimensionalen Selbstvermessung.
Der Text von „Describe“ ist wahnsinnig düster und fängt einen Moment ein, an dem Hoffnung unerreichbar scheint und man gar nichts fühlen kann. Dagegen setzt du eine ruppige Gitarre.
Hadreas: Für mich war das Stück eine fragile Klavierballade, doch meine Mitmusiker im Studio haben es ganz anders gehört. Der Produzent Blake Mills hat dann diese Gitarre gespielt, trotzdem habe ich weiter so gesungen, als würde ich es ganz leise am Klavier performen. Mir hat gefallen, dass die Verzweiflung der Gitarre standhalten konnte, und bei Konzerten werde ich wohl je nach Stimmung beide Versionen spielen.
Im Video zu dem Song inszenierst du dich ja auch sehr maskulin.
Hadreas: Ich empfinde das gar nicht als so inszeniert. Da bin ich gerade, so fühle ich mich. (lacht) Ich will mit Schmutz bedeckt sein, eine Zigarre rauchen und mit anderen kämpfen oder mich zumindest mit ihnen wälzen.
Der Schriftsteller Ocean Vuong, der einen Essay zu deinem neuen Album geschrieben hat, erklärt diese vermeintlichen Widersprüche mit der Fragmentierung des queeren Körpers.
Hadreas: Als Kind konnte ich meinem Begehren vertrauen und bin einfach meinen Instinkten gefolgt. Dann aber kam das Außen dazu. Mir wurde gesagt, wie ich mich zu verhalten und zu bewegen habe, und ich bin als Zehnjähriger in unendlich viele Bruchstücke zerfallen. Jetzt bin ich 39 Jahre alt, und ich habe das Gefühl, dass mir noch immer Teile fehlen, um meine Identität zusammensetzen zu können. Natürlich ist das ein Kampf, den wir alle führen müssen, nur glaube ich, dass bei queeren Menschen die Widersprüche zwischen dem Innen und einem Außen ungleich größer sind. Gerade im Hinblick auf die Körperlichkeit empfinde ich das Rastlose in guten Momenten als meine Superpower. Doch gibt es eben auch diese Momente, in denen ich nur ein absolutes Verlorensein fühle.
Interview: Carsten Schrader
Perfume Genius: Set my Heart on fire immediately ist gerade erschienen.