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Was kann „Dr. Pöbel“? Ein b2b-Review zum neuen Album von Pöbel MC

Die Redaktion hört …(1)

Für das neue Album des Rostocker Rappers Pöbel MC haben sich Felix und Matthi in der kulturnews-Redaktion hinter die Bluetooth-Box geklemmt. Vier Ohren hören schließlich mehr als zwei. Track für Track diskutieren die beiden hier über die Stärken und Schwächen des Albums.

„Doktor P.“

Felix: Das ist diese Realness! Ein Album im Reclam-Einschlag ohne kurzen intellektuellen Flex zu eröffnen, wär wohl auch völlig unangebracht. Da bekommt man doch direkt Bock, 300 Seiten Dissertation runterzurocken, oder? Schließt inhaltlich damit auch ganz wunderbar an „Bildungsbügerprolls“ an. Und das Thema ist gesetzt: irgendwo zwischen Kulturwissenschaftsseminar und Eckkneipenbesäufnis.

Matthi: Da bekommt man nicht nur Bock, eine Dissertation zu schreiben (Pöbel MC ist jetzt wohl übrigens wirklich offiziell fertig mit seiner, Glückwunsch an dieser Stelle!), sondern auch, mit 1 000 anderen PMC-Ultras darauf zu warten, dass das Licht ausgeht und genau dieser Beat einsetzt. Denn wir wissen ja beide: Pöbel schreibt seine Songs immer schon mit einem Bein im Moshpit.

„Heliaktion“

Matthi: Und seien wir ehrlich: Auch der hier lässt nichts anbrennen in Sachen Moshpitgarantie. Hier wird der frischgebackene Doktor dann auch gleich noch ein bisschen abwechslungsreicher und demonstriert, dass er neben stabilen Ansichten auch stabile Flows hat. Nebenbei sorgt er auch gleich für einen frühen Anwärter auf die Line des Albums: „Wie viele Menschen haben sich jahrzehntelang gewehrt/Ihr werdet höchstens wütend, wenn’s euch Böhmermann erklärt“.

Felix: Da bin ich ganz bei dir, Matthi: raptechnisch wahrscheinlich der stärkste Song. „Demokampfansagen mit Machtzitaten auf Basssonaten“ – da ist man ja fast gewillt, sich ’ne Snapback aufzusetzen und Silben zu zählen. Obwohl ich die Böhmermann-Line gegen die selbstgewisse Gemütlichkeit einiger Linksliberaler super treffend finde, taugt sie wohl als Demokampfansage eher weniger. Zu sperrig. Wundert mich aber, dass der Nobelatze hier seinen Rap mit Demokampfansagen vergleicht. Die Fremdzuschreibung, er skandiere bloß Parolen auf Beats, würde er so mit Sicherheit nicht unterschreiben.

„Ruhe & Frieden“

Felix: Hier kommt zum ersten Mal die auf diesem Album dann doch recht prominente und schon fast kitschig säuselnde Rockgitarre zum Einsatz. Muss man mögen. Inhaltlich kann ich diesem Song hingegen wieder mehr abgewinnen. „Wer Faschos wählt, ist selber ein Faschist“. Das klingt erst mal wie eine Binse, wird so resolut aber zu selten ausgesprochen. Allzu häufig bedienen wir immer noch diese ängstlichen Erzählungen einer frustrierten, abgehängten, alleingelassenen Gruppe. Dabei hat eine große „Mitte-Studie“ letztes Jahr erst gezeigt, dass 8 % aller Deutschen ein gesichert rechtsextremes Weltbild haben und 20 % an der Schwelle zu diesem stehen. Zusammengenommen kommt man damit auf die Zustimmungswerte der AfD. Vielleicht sind Menschen, die Nazis wählen, auch einfach Nazis?

Matthi: Vielleicht können wir mittlerweile sogar das Wort vielleicht einfach streichen. Viel zu viel wurde darauf gesetzt, alle Meinungen einzuholen, „miteinander“ zu sprechen oder in den „Diskurs“ zu gehen. Wie gut das in den letzten Jahren geklappt hat, sieht man gerade, wenn es wieder salonfähig ist, die Schuld bei den Minderheiten zu suchen, und sich etablierte Parteien gegenseitig überbieten, AfD-Standpunkte zu kopieren. Zumindest Pöbel zeigt speziell auf diesem Song konkret, wie er es handhabt: Keks, Toys, Ekel und zig weiteren Gestalten der gleichen Sparte wird ganz ohne Worte und doch mit viel Nachdruck begegnet.

„Afterworkrapper“

Matthi: Die Laune bleibt trotzdem gut – sowohl hier als auch bei PMC. Der Beat wird schneller, die Lines stumpfer und die Gimmicks witziger. Ich mein, das Schweinegrunzen am Anfang? Holt komplett ab! Für mich ein Pöbel-Partytrack, wie er im Buche steht, der in all seinem Durcheinander seine Kernkompetenzen vereint: hier eine Zeile zum Zustand des restlichen Deutschrap (Spoiler: schlecht), dort eine Line zu gesamtgesellschaftlichen Verhältnissen (Spoiler: auch schlecht) und hier eine Line zu seinen Bettgeschichten (Spoiler: gut).

Felix: Wenn aus „Oi!“ „Oink!“ wird. Mit diesem Song verabschiedet sich das Album aus den Gefilden des Diskursrap in Richtung brachialer Blödeleien. Und das funktioniert – Spoiler! – fantastisch. Wie Pöbel hier sein breites Rostocker Idiom raushängen lässt, Menschen mit Wikipedia-Eintrag den Hof macht und sich den Fickinger (dt. fickender Wikinger) tauft, kitzelt Humorregionen in mir, die bereitwillig gackern.

„Lebermord am Centercourt“

Felix: Selbiges setzt sich hier fort. Allein der Titel des Songs hat einen Pulitzer-Preis verdient. Diese Hook war also gemeint, als er auf „Heliaktion“ die Basssonaten angekündigt hat. Scheppern ist dafür gar kein Begriff. Und wie Pöbel hier seine Rolle als Awareness-Beauftragter im amphetamingefluteten Berliner Nachtleben auslegt und den Kokainköpfen lieber Bier in Weltrekordmengen ans Herz legt, ist doch aller Ehre wert. Gelebte Vorbildfunktion.

Matthi: Wer Schleiereulen und Polizeigebäude in einen Satz bekommt und damit immer noch bessere Punchlines als ein Großteil der Rapkolleg:innen fabriziert, hat sich seine Nominierung wohl redlich verdient. Dass PMC seinen frisch erworbenen Dr. rer. nat. auch noch zur Drogen-Aufklärung nutzt und seinen Atz:innen fachgerecht ins Gewissen spricht, müsste auch die letzten in der Jury überzeugen. Ich geh mit: Der Pulitzer-Preis sollte aber mal auf allerschnellstem Wege über die Ostsee zum MVP aus MVP geschippert werden.

„Kokainobelix“

Matthi: Wenn wir schon bei Spoilern sind: Es bleibt nicht auf dem ganzen Album bei deinen so wunderbar betitelten „brachialen Blödeleien“. Doch keine Sorge, Pöbelbanger 6 ist noch weit entfernt von einem Abschied von diesem Teil des Albums. Stattdessen wird auf einem drückenden, fast drohenden Beat doziert, wie es sich auch morgens nach einer durchzechten Nacht wieder in den täglichen Kampf gegen die Röm- äh sorry, Toys gehen lässt. Und wie es auch ganz ohne Zaubermittelchen funktioniert: eine Anleitung auf 02:45 Min.

Felix: Zumal der Awareness-Atze weiß: „Unnahbar und unempathisch geht auch ohne Ballern.“ Aus einem Arschloch wird mit Drogen eben auch nur ein druffes Arschloch. Im Prinzip könnte man nach diesem Song Chuck Norris durch Pöbel MC ersetzen. Pöbel MC kackt nicht ab auf Drogen, Drogen kacken ab auf Pöbel MC. Aber noch was anderes: Gibt es einen Rapper mit brillanteren Spitznamen als den Rostocker? Bildungsbürgerproll, Rollkragenschläger, Nobelatze, Kokainobelix …

„Grand Wizard Shit“

Felix: Okay, das ist jetzt sehr special interest, aber ich liebe es, wie Pöbel MC hier – und das zieht sich durchs gesamte Album – leicht zwischen den Zähnen hindurch pfeift. Vielleicht bleibt mir das noch am ehesten hängen, weil meine Gaming-Zeit und endlose World-of-Warcraft-Nächte schon ewig zurückliegen. Eine Anspielung an „The Witcher“ habe ich dann aber doch noch erkannt. Ansonsten lässt mich auch der Kirmes-meets-Konsole-Beat eher kalt. Mit diesem Song ist dann das Kapitel „brachiale Blödeleien“ aber abgeschlossen, oder?

Matthi: Korrekt, der Track kommt zwischen all den Songs, die wir ja gerade so schön in verschiedene Kategorien einordnen, auch ein bisschen random – aber so lernen wir immerhin ein wenig mehr über seine Hobbys abseits von Saufen, Raugln und Deutschrap klatschen. Vielleicht wollte er seine Reihe an AKAs ja hier einfach noch ein wenig unerwartet erweitern? Grand Wizard ist wohl schon auf direktem Wege eingetragen worden – zumal PMC damit den Ku-Klux-Klan-Anführern ihres Titels beraubt. Ich will an dieser Stelle aber nochmal MF DOOM in den Ring werfen, wenn es um Rapper mit grandiosen andere Namen geht – und ich bin mir sicher, diesen Gaming-Einschlag hätte er liebend gerne gesehen.

„Kein Berliner“

Matthi: Ich würde sagen, das ist jetzt aber wirklich der letzte Song, bevor das letzte Drittel des Albums kommt, in dem der so häufig ungreifbare Pöbel etwas mehr Maske fallen lässt. Vorher haut er aber noch einen Song mit dem Prädikat „unliebsame Wahrheit“ raus: Auch Lokalpatriotismus ist nur eine weitere Form von Patriotismus, und sich etwas auf die Heimat einbilden, ist Schwachsinn, egal ob es jetzt Deutschland oder eben Berlin, die Stadt mit dem mysteriösen Pull für alle etwas cooleren Menschen, ist.

Felix: Entlastungsrap für alle uncoolen Unhauptstädter. Die Anthithese zu Ufos „Ich bin ein Berliner“. Mit dem Song kann ich wirklich sehr gut relaten, sind doch aus meinem engeren Umfeld in den vergangenen Jahren auch immer mehr Leute in Richtung Hauptstadt aufgebrochen. Folgt man ein paar einschlägigen Menschen aus Kultur und Kunst auf Instagram, könnte man ja wirklich meinen, außerhalb Berlins ginge gar nichts. Und ein Arschloch aus Berlin ist eben auch nur ein Arschloch.

„90sOST“

Felix: Es mag widersprüchlich klingen, nach einem Song gegen Lokalpatriotismus mit einer ostdeutschen Wendehymne um die Ecke zu kommen. Doch da wäre ein feiner Unterschied: Im Gegensatz zu Berlin steht die ostdeutsche Provinz nun wirklich nicht im Verdacht, ein sonderlich cooles, distinktives Image zu versprechen. Vielmehr ist es doch so, dass die Leute abhauen. Und genau dort setzt Pöbel auch an: „Wir wollen hier weg, doch haten jene, die nicht blieben/Es gibt keine Heimat, nur Geschichten, die prägen“, rappt der Nobelatze und fängt damit ein ambivalentes Verhältnis zur eigenen Ost-Identität ein, mit dem sich wohl viele Menschen seiner Generation identifizieren können. Womöglich ist der Song aber auch eine Ansage an westliche Arroganz? Immerhin heißt es später: „Spar’ dir ma’ dein Mitleid, es gibt nichts zu bedauern/Haben auf unserem Weg gelernt, uns eigenständig zu empowern“. Für mich einer der stärksten Pöbel-MC-Songs.

Matthi: Mir bleibt neben all der Ostalgie vor allem die ungewöhnlich offenen Zeilen über Verlust im Kopf, eine der raren Demaskierungen von einem Mann, der sich bei aller Ausdrucksstärke bestens zu verschleiern weiß. Doch der Tod seines enges Freundes und Wegbegleiters Lucas wird in Form von einigen Zeilen und einem Piece im Video thematisiert und lässt wieder mal mehr durchblitzen als Klassenkritik und Moshpitgarantie. Ich geh mit dir: einer der besten Songs des Albums, gerade weil er so raussticht.

„Sud“

Matthi: Noch stärker finde ich aber diesen Track hier. Zwar wieder deutlich klassischerer Pöbel MC, aber der schleppende Flow, der sich in Wellen auf- und dann wieder abbauende Beat und die Enttäuschung in der Stimme vereinen für mich vieles, was seine Musik ausmacht. „Eure Lebensweisheiten hätte ein Achtjähriger ergooglet“ oder „Du hältst dich für feministisch, weil du Nagellack trägst/Doch du wirst auch kein PoC weil du in’s Solarium gehst“ bringen in wirklich wenigen Worten auf den Punkt, wie gelangweilt er von der typisch gemütlichen Antihaltung ist.

Felix: Zweitere von dir genannte Line ist definitiv meine liebste dieses Albums. Fängt sie doch so gut den minimalen Einsatz einiger vermeintlich progressiver Kräfte und deren daraus resultierende Selbstgewissheit ein. Lyrisch ist „Sud“ womöglich sogar der sträkste Song dieses Albums und reiht sich nach „90sOST“ in die Reihe einiger jüngerer Pöbel-Songs wie etwa „Arm in Arm“ oder „Rauch“ ein, die sich allesamt auch einer Verletzlichkeit preisgeben, die dem Rostocker sehr gut zu Gesichte steht. Für mich fehlt diesem Album an der ein oder anderen Stelle der Mut, sich noch verletzlicher zu zeigen. Wenngleich ich diese beiden Songs wirklich sehr stark finde.

„Zeitlos“

Felix: Auf dem Papier gehört auch dieser Song zu eben jener introspektiveren Reihe verletzlicher Songs, aber irgendwie klickt es bei mir nicht so ganz. Und ich kann nicht mal erklären, wieso. Sich dem Thema der menschlichen Endlichkeit anzunehmen, ist zweifelsohne ein dickes Brett, und der flirrende Breakbeat, auf dem Pöbel hier rappt, ist ein ebenso dickes. Schon länger hat der Tod in Pöbels Songs Einzug genommen, und das finde ich per se erst eimal super. Es sollte viel mehr über Tod gesprochen und geschrieben werden. Aber: „Zeit rennt, rennt davon“ ist dann irgendwie doch ein gar arg abgegriffenes Bild, oder? Schön finde ich hingegen das schon fast versöhnliche und maximal unnihilistische Ende, wenn er rappt: „Die Menschen bis zur letzten Stunde aufgezerrt, doch kämpfen weiter, denn das Leben ist es wert.“

Matthi: Mir geht es hier ein bisschen anders als dir, auch wenn wir in Sachen Instrumental anscheinend gleichermaßen abgeholt sind. Vielleicht ist „Zeit rennt davon“ eine (zu) häufig genutzte Phrase, so wie Pöbel es aber in den Verses mit seinen Zeilen an plakativen Beispielen darstellt, resoniert es einfach mit mir. Ganz egal, ob das mit verschwendeter Zeit und 30 Kippen oder sich dem Bewusstmachen der Endlichkeit klappt – da findet schon jeder seinen Weg. Schön ist, wenn das Thema Tod noch mehr seinen Weg in Gespräche – oder eben Songs – findet und die Universalangst stückweise dadurch genommen werden und durch Aktionismus ersetzt werden kann.

„Sonnenaugen“

Matthi: Den Song hätte es wiederum nicht mehr zwingend gebraucht, meiner Meinung nach. Die Hook will nicht so richtig zünden, allgemein wirkt „Sonnenaugen“ wie eine Abhandlung verschiedener Erzählstränge, die er einbauen will, weil es die Checkliste eines Outros eben erfordert. „Nicht alles hat geklappt, doch wir haben es gut gemacht“ oder „Sollte heute alles enden, sind wir morgen Legenden“, haben nicht viel mit der Pöbel’schen Handschrift zu tun, die sich sonst durch das Album zieht, und könnten von den Rapper:innen stammen, die er vormals noch so viel (zu Recht) kritisiert hat.

Felix: Da hatten wir gerade hintenraus noch ein bisschen kribbelnden Dissens, und schon wird’s wieder harmonisch: Mich holt der Song nämlich leider auch nicht so recht ab – und das hat mehrere Gründe. Vorweg muss ich aber auch gestehen, dass ich an Outros von Rapalben immer einen sehr hohen Anspruch habe, weil ich sie so liebe. OG Keemo hat etwa mit seinen letzen drei Tapes bewiesen, wie bewegend sich Rapoutros als resümierendes Innehalten, als – wenn wir hier schon über das Werk eines Doktors reden – Exzerpt eignen. Wie Pöbel hier seinen inneren Paul Potts nach außen kehrt und sich in den Pathos lehnt, geht allerdings nur bedingt auf. Und dann wäre da wieder die E-Gitarre, der die letzte Minute dieses Album gehört. Prinzipiell ist dagegen erst mal nichts einzuwenden, aber dieses knidelige Solo drückt dann doch schon sehr auf den Dad-Rock-Knopf.

Fazit

Also: Was kann „Dr. Pöbel“? Insgesamt treibt der Rostocker mit diesem Album seine drei Stärken – Diskursrap, brachiale Blödeleien und Introspektion – auf die Spitze. Pöbel MC untermauert ein ums andere Mal seinen Status als (selbsternannter) progressivster Macker Deutschlands. Die Dichte an ausgefeilten und scharfsinnigen Punchlines, die zu gleichen Teilen Haltung beziehen und dem Witz fröhnen, ist beispiellos. Dass sich das Versteckspiel hinter der Kunstfigur nicht ewig aufrecht halten lässt, weiß er aber selbst nur zu gut, und so blitzen hier und da immer wieder verletzliche Momente auf, die dem Album gut tun. In Sachen Sound war Pöbel MC noch nie ein sonderlich ausgefallener Rapper. Klar, es gibt zwar ein paar mehr gesungene Passagen und E-Gitarren als noch zuvor, doch größere Überraschungen bleiben aus. Aber ist das so schlimm? Wir sagen: Nein. Denn wo der Sound mitunter erwartbar bleibt, ist dieses Album in der inhaltlich zunehmend leeren Deutschrapwelt ein Segen. Und dass die mit Zusatzshows bestückte Tour zum Album in weiten Teilen schon seit Wochen ausverkauft ist, beweist, wie sehr dieser Sound auch für das Livespektakel gemacht ist.

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