„Pudels Kern“ von Rocko Schamoni
In „Pudels Kern“ erinnert sich Rocko Schamoni an seine Streifzüge durch die Hamburger Subkultur. Wir haben mit dem 58-Jährigen über die Fortsetzung des Bestsellers „Dorfpunks“ gesprochen.
„Diese Brachen und das Kaputte, das gibt es irgendwie nicht mehr“, sagt Rocko Schamoni im Interview zu seinem neuen Roman „Pudels Kern“.
„Pudels Kern“ von Rocko Schamoni ist unsere Buchempfehlung der Woche.
Rocko, der neue Roman speist sich aus Tagebüchern, die du 1985 als 19-Jähriger begonnen und bis 2012 durchgezogen hast. Solche Aufzeichnungen schützen vor Nostalgie und dem Verklären der eigenen Jugendzeit, oder?
Rocko Schamoni: Es sind vor allem Kalender, mit denen ich für jeden Tag überprüfen konnte, wo ich mit wem, wann und warum gewesen bin. In den ersten Jahren habe ich aber auch noch Tagebuch geführt, und deswegen ist die leicht goldene Verklärung der eigenen Jugend bei mir eher nicht möglich. Wenn ich die aufschlage, dann sehe ich permanentes Gejammer. (lacht) Es geht wirklich die ganze Zeit so: Ich halte es nicht mehr aus und weiß wirklich nicht, wie ich weiterleben soll. Ich habe später fantasiert, mit 19 oder 20 sei alles toll und viel leichter gewesen. Aber der Blick in meine Tagebücher hat mir gezeigt: Es stimmt nicht! Eine solche Betrachtung der eigenen Jugend, wie sie viele von uns betreiben, ist eben häufig Verklärung.
In „Pudels Kern“ erzählst du viele krasse, sehr lustige und auch entlarvende Anekdoten, in denen befreundete Bands wie die Hosen, die Neubauten und die Zitronen vorkommen, aber etwa auch Daniel Richter und Jonathan Meese. Du streifst punktuell durch die Jahre, und es entsteht der Eindruck, du hättest noch viele Geschichten mehr erzählen können. Strukturiert wird das Buch von einem dunkleren Erzählstrang, da du ja auch von deinen depressiven Phasen berichtest.
Schamoni: Stimmt, ich hatte keine Lust auf eine reine Anekdotenshow à la Opa erzählt vom Krieg. Deswegen habe ich mir auch eine ganze Reihe von härteren Anekdoten erspart. Ich erzähle genug Anekdotisches, damit der Roman Drive bekommt und Unterhaltung bietet. Gleichzeitig war es mir aber auch wichtig, diese zweifelnde Seite zu erklären. Wenn ein junger unerfahrener Mensch ganz hoch hinauswill, aber gar nicht weiß, wie er da hinkommt und wer er selbst überhaupt ist, dann kann diese Person extrem tief stürzen. Das ist für mich die interessantere Geschichte. Und vielleicht ist das auch für jüngere Künstler:innen spannend, die hochfliegende Träume haben. Womöglich erkennen sie durch den Roman, dass es sich nicht in jedem Fall lohnt, so hoch hinaus zu wollen.
Der Roman endet mit der Eröffnungsnacht des Golden Pudel Clubs in Hamburg, und momentan bist du damit beschäftigt, in der Nähe deines Heimatdorfes einen alten Gasthof wieder herzurichten. Der Alte Dorfkrug in Gadendorf soll ein Kulturzentrum werden.
Schamoni: Das Schicksal ist manchmal schneller, cleverer und genauer als man selbst. Ich habe das nicht bewusst so geplant oder herbeigeführt, aber tatsächlich schließt sich ein Kreis. In diesem Dorfkrug habe ich das erste Konzert meines Lebens gegeben, mit meiner damaligen Band Warhead.
Zur Eröffnung hat im Januar die Band Ostzonensuppenwürfelmachenkrebs im Alten Dorfkrug gespielt. Macht ihr da jetzt schon ein richtiges Programm?
Schamoni: Mit den Suppies, wie ich sie nenne, war es fantastisch, denn das Landpublikum hat den Abend super angenommen und sich total gefreut, dass etwas los ist. Momentan machen wir solche Sachen aber völlig unregelmäßig und auf Vereinsniveau. Bevor wir eine Konzession beantragen, müssen noch viele Renovierungen stattfinden. Das wird uns über eine Million kosten, und wir haben davon bis jetzt noch nicht einmal ein Fünfzigstel zusammen. Aber es wird Konzerte von tollen Leuten geben, die mich schon angefragt haben, auch aus Hamburg. Mehr verrate ich an dieser Stelle noch nicht.
Engagierst du dich jetzt verstärkt im ländlichen Raum, weil du da noch auf Leidenschaft, Neugierde und Begeisterungsfähigkeit triffst, während in einer Stadt wie Hamburg vor allem Abgeklärtheit und Übersättigung dominieren?
Schamoni: Das Tolle da auf dem Land ist ja, dass das nicht nur Leute aus dem Kultur- oder Kunstzirkel sind. Es machen einfach alle mit. Beim NDR-Fernsehen hat es einen Aufruf gegeben, und danach haben sich unglaublich viele Leute aus allen möglichen Dörfern in der Region gemeldet, um zu helfen. Jeden Samstag um 10 Uhr kommen da ganz normale Leute, die mit Kunst gar nichts zu tun haben, und helfen mit beim Umbau. Ich halte mich gerne in Künstler:innenkreisen auf, aber da kommen darüber hinaus auch Leute hin, die vielleicht später nur mal einen Tanzkurs im Krug abhalten wollen – und das gefällt mir. Und es stimmt schon, Hamburg ist irgendwie angekommen. Ein bisschen habe ich das Gefühl, dass die Stadt in den letzten zehn Jahren fertig geworden ist. Diese Brachen und das Kaputte, das gibt es irgendwie nicht mehr. Das meiste ist durchrenoviert und gestrichen. Und die Mieten haben sich verfünffacht, sodass es sich kaum noch jemand leisten kann.
Aber was passiert, wenn Hipster aus Hamburg oder anderen großen Städten extra anreisen und in den Dorfkrug einfallen?
Schamoni: Momentan hat der Laden nur zum Wochenende auf. Da müssten sie dann helfen – und das wollen Hipster ja eher nicht. Die wollen nur cool rumhängen, aber nicht Tapeten abkratzen. Und wenn Veranstaltungen stattfinden, geht das direkt an die Leute raus und wird nicht in Zeitungen oder im Netz bekannt gegeben. Ein Hype und die Verhipsterisierung können zumindest zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht stattfinden.
Mit „Pudels Kern“ hat es Rocko Schamoni auf unsere Liste der besten Bücher im Mai 2024 geschafft.
Rocko Schamoni ist mit „Pudels Kern“ auf großer Lesereise. Hier geht es zu den Terminen.