„Reichskanzlerplatz“ von Nora Bossong
Mit „Reichskanzlerplatz“ bildet Nora Bossong den langsamen Abstieg in die Barbarei ab, die Art, wie Passivität unmerklich zu Mittäterschaft wird.
„Reichskanzlerplatz“ von Nora Bossong ist unsere Buchempfehlung der Woche.
Als Schuljunge verliebt sich der Ich-Erzähler Hans in seinen Klassenkameraden Hellmut Quandt und lernt dessen Stiefmutter kennen – Magda, die später einmal Joseph Goebbels heiraten wird. Hellmuts früher Tod schweißt den trauernden Hans und Magda, die eine Affäre mit ihrem Stiefsohn hatte, für immer zusammen. Aus der Ferne sieht Hans, selbst Diplomat geworden und zeitweise im homosexuellen Untergrund aktiv, mit an, wie Magda zur wichtigsten Frau der Nazi-Ideologie wird.
Mit „Reichskanzlerplatz“ will Nora Bossong den langsamen Abstieg in die Barbarei abbilden, die Art, wie Passivität unmerklich zu Mittäterschaft wird. Bei Hans ist es schlicht die Angst, die ihn zum Mitläufer macht. Und bei Magda? Ein Lob von Daniel Kehlmann auf der Rückseite macht Vergleiche mit dessen Roman „Lichtspiel“ unausweichlich. Darin hat er die wahre Geschichte des Regisseurs G.W. Pabst genutzt, um meisterhaft über das Verhältnis von Kunst und Schuld zu schreiben. Ein derart stimmiges Bild gelingt Bossong nicht – am Ende ist es ihr fiktiver Protagonist, der im Gedächtnis bleibt, nicht Magda Goebbels. Sie bleibt ebenso rätselhaft wie ihre Beweggründe.
Mit „Reichskanzlerplatz“ hat es Nora Bossong auf unsere Liste der besten Bücher im September 2024 geschafft.