„SAYA“ von Saya Gray: Kohärenz in der Inkohärenz
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Mit ihrem Debütalbum „SAYA“ legt Saya Gray erstmals ein Album vor, das ihre vielen ausprobierten Sounds verbindet – gleichwohl bleibt sie in ihrem Sound trotzdem bewusst ungreifbar.
„QWERTY“, „QWERTY 2“, „19 Masters“: mit wortgewichtigen Projekttiteln hat es Saya Gray bislang nicht so gehabt. Darauf lassen sich auch mal Songnamen wie „11/19“, „;(“ oder „2 2 BOOTLEG“ finden – die dafür aber umso gewichtiger in Struktur und Lyrics ausfallen, aber öfters beinahe skizzenartige Formen hatten. Doch auf ihrem nun erschienenen Debütalbum fährt sie zumindest in Teilen einen neuen Kurs. Nicht nur hat sich die japanisch-kanadisch-schottische Sängerin zum ersten Mal abgerungen, einen richtigen Namen für ein Projekt zu verwenden (ihren eigenen), sie hat auch ihre über die Jahre gesammelten Skizzen von Genres in eine ganz eigene Form gegossen.
Das führt zu einem distinktiven, collagenartigen Soundbild über die zehn Tracks des Albums, der viel von ihren bisherigen Ausflügen in die unterschiedlichsten Genres und in das Chaos in ihrem Kopf der letzten drei Jahre einfängt und vereint. Da gab es auf „QWERTY 2“ auch schon mal Exkursionen in die Drum’n’Bass- oder Hyperpop-Ausfahrten, die ähnlich zusammengesetzt klangen wie das Tastaturgehaue des EP-Titels. Auf „19 MASTERS“ konnte man wiederum live dabei sein, wie Gray mit der Gitarre herumwerkelt und diese immer wieder in ihre Liebe zur Dissonanz einflechtet. Kurzum: Seit 2022 hat sich die mittlerweile in London lebende Sängerin in einem ständigen Modus des Tüftelns an ihrem Sound befunden und live vor den Augen der wachsenden Zuhörerschaft ausprobiert.
Kohärenz in der Inkohärenz
Auf „SAYA“ hält Gray nun inne und führt das bisher akribisch geführte Skizzenbuch zu einem ineinandergreifenden Roman zusammen. Wie eine Collage legen sich die Einflüsse zu einem ganz eigenen Soundbild zusammen, Gray scheint es spürbar erstmals auf eine klangliche Kohärenz angelegt zu haben. Dabei ziehen sich trotzdem noch eine Menge ihrer zuvor verwendeten Einflüsse durch das Album: Da sind die Trap-Passagen zu Beginn von dem Standout-Song „H.B.W“, da sind die R&B-Elemente in „Line Back 22“ oder aber auch psychedelischen Americana auf „10 Ways (to lose a Crown)“. Und doch fließt aus jeder Pore ihres selbstbetitelten Albums der Pop in all seinen Abwandlungen, eben nur höchst unkonventionell und alternativ. Es sind eingängige Melodien, die die in Toronto geborene Gray auf den zehn Songs von „SAYA“ geschaffen hat, nur eben höchst schräg und mit vielen kleinen Spielereien zwischendrin.
Die Slide-Gitarre, beispielsweise, ist schon auf früheren Songs immer wieder zum Einsatz gekommen, doch ist hier nun ein maßgeblich wiederkehrendes Element und zieht sich quer durch ihr Debütalbum. Auch die Westerngitarre ist dauerpräsent und wirft immer wieder Country- und Folkvibes in das Potpourri an Genres hinein. Auf „Exhaust the Topic“ mündet die Gitarrenvernarrtheit gar in einem beinahe Nu-Metalig anmutenden, sich in sich selbst verlierendem Song mit einem explosiven Outro, das die Anarchie des Albums auf die Spitze treibt.
Es ist kein klarer Sound, den Gray da fährt, aber es ist ihrer, und sie bringt die in den EPs zuvor aufgebauten bunten Fäden auf „SAYA“ erstmals zu einem klaren roten zusammen.
Das musikgewordene Ende einer Beziehung
Thematisch ist „SAYA“ wiederum einfacher zusammenzufassen: Ausgehend von einer aufgelösten romantischen Beziehung ist das Debüt entstanden, inmitten von Reisen in die japanische Heimat und damit verbundenen Endlos-Roadtrips durch das Land. Dementsprechend zerfressen ist das Herz, aus dem die Lyrics für ihr Debüt herausgesprudelt kommen. „There’s a graveyard in my dreams/I lay a flower once a week/For you and me“ heißt es da beispielsweise auf „H.B.W“, und es braucht wenig Interpretationsspielraum, um ihren Gemütszustand während der Albumarbeiten nachzuvollziehen. Eine starke Melancholie zieht sich durch das gesamte Werk und färbt alles durchweg grau – eine Anspielung auf ihren Namen, die Gray als bekennende Wortspielfreundin auch selber einsetzt: „If I lie down in this life would you mention me/Would you mention me to your family/Or let my name fade to grey?“. Immer auf der Suche nach Akzeptanz für das Ende einer Beziehung sucht Gray in all der Sentimentalität und findet sie schlussendlich auf „Exhaust the Topic“ bei sich selbst: „Maybe it’s ’cause I’ve been looking for a love I’ve never given.“ Es ist eine versöhnliche Note, auf der die Sängerin ihren Herzschmerz enden lässt.
Ein Debüt zum Bleiben
Auch wenn sich Saya Gray in den vergangenen Jahren schon vorsichtig immer mehr einen Namen gemacht hat und sich in die Playlists und Empfehlungslisten sämtlicher Musikmagazine gespielt hat: Der große Einstieg hat bisher noch gefehlt. Vielleicht lag es auch noch daran, dass sie sich offensichtlich in einer Phase des Rumspielens und des Experimentierens befunden hat – ihr Trademark-Sound kristallisiert sich jedenfalls so richtig jetzt auf dem kohärenten Debütalbum heraus. Ein bisschen Songwriting und Ohrwürmer á la Lorde, die Vermischung von chaotischen und ruhigen Passagen wie ein Bon Iver, die Vorliebe für Gitarrenriffs und die damit einhergehenden Melodien, wie sie Blood Orange immer wieder einbaut, und das Abstrakte und Bizarre von Perfume Genius: Saya Gray verbindet vieles von dem, was kontemporär gut funktioniert, kann gleichzeitig aber auf nichts bereits Existierendes zu sehr festgenagelt werden. Es ist ihr ganz eigenes Gebilde, das sie in liebevoller Kleinstarbeit über die Jahre aufgebaut hat – und eins, das durch all die Liebe zum Ausprobieren noch viele interessante Wendungen nehmen wird. Das ist in all der Unsicherheit in ihrem Sound jedenfalls sicher.
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