The Durutti Column: Vini Reilly
Reillys romantische Kompositionen scheinen Einsamkeit zu bebildern, doch wehleidig sind sie nicht.
Es ist nicht schwer, Vini Reilly bislang überhört zu haben. Einem seiner Instrumentalstücke im Radio zu begegnen, ist ein absoluter Glücksfall, und die Hochglanzseiten der Fachpresse schmücken sich selten mit seinem Konterfei. Er ist offenbar ein scheuer Zeitgenosse, versteckt sich vorzugsweise hinter dem bizarren Gruppennamen „The Durutti Column„, unter dem er nunmehr sechs Alben veröffentlicht hat. Erst das letzte trägt seinen Namen, verwirrenderweise als Titel.
Das Cover ziert ein schwarzweißes Foto von ihm: ein überaus hagerer Mann mit markanten Zügen, der den Kopf aufstützt und auf verzwickte Weise haarscharf an uns vorbeischaut. Reilly spielt Gitarren aller Art, sein Stil ist beeinflusst von Avantgarde bis Minimal Music und doch völlig eigenständig, unvergleichlich. Seine großartigen Lautmalereien erinnern noch am ehesten an die Low-Budget-Platten, die das „Cluster“-Mitglied Roedelius in den Siebzigern veröffentlichte.
Es sind kleine, traurige Miniaturen von zerbrechlicher Schönheit, meist karg instrumentiert (Rhythmus- + Solo-Gitarre) und selten nur sparsam unterstützt von John Metcalfs Viola, Andy Connells Keyboard oder Bruce Mitchells Schlagzeug. Reillys Stärke liegt in Variierung und Ausformung einer einzelnen Idee; seine impressionistischen Songs entwickeln sich kaum, sind repetitiv, gehen der Melodie auf den Grund. Sie muten an wie flühtige Skizzen im Block eines Malers, der um die Vergänglichkeit des Augenblickes weiß und wehmütig dessen Schönheit festhalten will.
Musik, die Bilder produziert, weil sie offenbar aus Bildern entstand. Schwer, eine dieser mikrokosmischen Klangwelten hervorzuheben – „Requiem again“ vielleicht, wo eine leicht verfremdete, wimmernde Gitarre vor einem elegischen String-Synthesizer die Tonleiter abwärts steigt in Grabestiefe: schaurig-schön, mit maßvollem Pathos und leider viel zu kurz. Oder „Pol in G“, ein leicht verhalltes Instrumental aus zwei verstärkten Gitarren; wer Pat Methenys frühe LP „New Chautauqua“ kennt, weiß, was ich meine.
Reillys romantische Kompositionen scheinen Einsamkeit zu bebildern, doch wehleidig sind sie nicht. Auch die Sample-Technik, einziges Zugeständnis an aktuelle Strömungen, setzt er in diesem Sinne ein: fremde Stimmen, die er untermischt, scheinen einsamen Gestalten in großen leeren Hallen zugehörig („Opera II“, „Otis“). Wenn man diese Platte hört, scheint es kaum vorstellbar, dass Reilly einst in der Punk-Szene von Manchester reüssierte.
Damals firmierte er unter dem Namen „Ed Banger and the Nosebleeds“ und galt bereits als bester Gitarrist der Stadt. Und heute komponiert er Musik von herber Schönheit, die an Melodienreichtum ihresgleichen sucht. Eine Platte also, die es künftig schwerer machen wird, Vini Reilly noch zu überhören.