Tigran Hamasyan: The Call within
Die Welt kennt Tigran Hamasyan als Jazzpianisten. Doch jetzt stellt sich der Armenier seiner dunklen musikalischen Vergangenheit.
Ein Jahr nach Tigran Hamasyans Geburt hat ein Erdbeben seine Heimatstadt Gjumri in Schutt und Asche gelegt: Wer überlebt, besitzt kein Zuhause mehr. Eine Katastrophe, die ganz Armenien und auch den jungen Tigran noch lange Jahre prägen sollte. Sein Vater hat Ablenkung gesucht, harten westlichen Rock von Deep Purple und Black Sabbath gehört, und auch der Sohn hat schon bald davon geträumt, Metal-Gitarrist zu werden. Diese Liebe zur Düsternis hört man seiner Musik auch Jahrzehnte später noch an, nachdem sein Talent als Pianist längst allüberall gefeiert wird.
Klavierunterricht hat Hamasyan von Bebop-Pianisten bekommen, und mit elf Jahren hat er bereits erste Klavier-Wettbewerbe bestritten, bis er schließlich mit 16 beim Piano-Wettbewerb des Montreux Jazz Festivals ausgezeichnet wurde. Schon in jungen Jahren war der Armenier ein Weltbürger, er hat schon als Teenager in LA und New York City gelebt, später in Paris. Mit einem international besetzten Trio veröffentlicht Hamasyan nun auch sein bereits neuntes Album.
Eine Hinwendung zum Esoterischen ist auf „The Call within“ unverkennbar. So lässt der Künstler auch verlauten, armenische Volksweisheiten, Astrologie, Geometrie und in Felsen gemeißelte Kunst haben ihn für die Platte inspiriert. Wer den Pianisten im Video zum Song „Levitation 21“ mit ungezähmter Lockenpracht und schwarzer Robe hexenmeisterartig ein Air-Piano spielen sieht, der ahnt: Hier werden keine Gefangenen gemacht.
Doch Hamasyan setzt noch einen drauf. Der Song „Our Film“ beginnt – der Titel lässt es erahnen – wie der Soundtrack eines romantischen Blockbusters, um dann für fette R’n’B-Beats den Weg frei zu machen und im letzten Drittel gar richtig krachig zu werden. Nicht nur die bassschwere Produktion verleitet dazu, hier von Progrock-Jazz zu sprechen. Hektische Powerchords, dramatische Arpeggien und folkloristische armenische Chöre: Es ist erstaunlich, was Hamasyan alles in einen fünfminütigen Song zu packen vermag. „Momente unbewusster Kreativität sind auch ein Weg, um sich Dingen bewusst zu werden“, kommentiert er. Was er damit genau meint, weiß wohl nur Hamasyan selbst. Hier arbeitet sich jemand an seinen Dämonen ab.