„Midpoint“ von Tom Chaplin: Ich, Tom
Bei seinem dritten Soloalbum „Midpoint“ hat Keane-Sänger Tom Chaplin jeden Gedanken an Ed Sheeran vermieden.
Tom Chaplin, was ist das Schönste daran, 43 zu sein?
Tom Chaplin: Das Gefühl zu haben, sich nicht mehr jeden Tag beweisen zu müssen. Insbesondere in den Anfangsjahren mit Keane hat mein Alltag einem Computerspiel geglichen. In jedem neuen Level, das wir erreicht haben, wurde ich aber nicht glücklicher – sondern unglücklicher und verzweifelter. Heute geht es in meinem Leben nicht mehr darum, das Erreichte zu toppen und sich zu fragen, wo es als nächstes hingeht. Stattdessen denke ich: Ich will genau dort bleiben, wo ich gerade bin.
Keane gibt es weiterhin, parallel veröffentlichst du aber Soloalben. „Midpoint“ ist bereits das dritte seit 2016. Privat bist du verheiratet und Vater einer achtjährigen Tochter und eines zweijährigen Sohnes. Zudem lebst du nach jahrelangem Alkohol- und Drogenkonsum seit sieben Jahren abstinent. Damit bist du – im ganz klassischen Sinne – im Leben angekommen, oder?
Tom Chaplin: Absolut. Ich habe mir ein Leben aufgebaut, mit dem ich glücklich bin. Bei so manchem in meinem Alter ist da plötzlich die Überlegung, alles hinzuwerfen, um mit frischer Beziehung und einem anderen Job neu anzufangen. Aber für mich gilt das Gegenteil: Ich werde immer ruhiger und ausgeglichener. Ich lebe ohne die Giftstoffe, mit denen ich meinen Körper viele Jahre gequält habe, ich habe mich in Psychotherapien mit mir selbst konfrontiert, und ich bin körperlich fitter als je zuvor.
Shortcode:
Wie wird man ruhiger und gelassener im Leben?
Chaplin: Durch Akzeptanz. Ich habe erkannt, dass Keane ihren kommerziellen Höhepunkt überschritten haben und nie mehr so groß werden wie Coldplay. Und ich weiß auch, dass ich solo niemals so erfolgreich sein werde wie Ed Sheeran. Aus all diesen gesammelten Gewissheiten, die ein Leben definieren, in dem man sich geborgen und zuhause fühlt, sind die Ideen für „Midpoint“ an die Oberfläche geblubbert. Dieses Album ist nicht cool oder jugendlich. Es ist subtil, realistisch und eine sehr ehrliche Bestandsaufnahme.
Hast du bei der Produktion der sehr intim und minimalistisch klingenden Platte „Midpoint“ ganz bewusst auf den Bombast verzichtet, der Keane, aber auch dein erstes Soloalbum „The Wave“ prägt?
Keane: Ethan Johns, der Produzent der Platte, hat bereits mit Laura Marling gearbeitet und ist ein sehr individuell arbeitender Experte fürs Weglassen. Wir haben die Kompositionen bis aufs Skelett ausgezogen. Den Gefühlen sollen bloß nicht irgendwelche Soundeffekte in die Quere kommen.